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Felidae Metamorphosis (German Edition)

Felidae Metamorphosis (German Edition)

Titel: Felidae Metamorphosis (German Edition)
Autoren: Markus Kastenholz
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Dr. James McArthur wusste, er kam zu spät.
    Vier Stunden waren seit dem Anruf seines besten Freundes, Roger Welch, vergangen. Sie kannten sich noch aus der Grundschule, bevor aus Roger der bekannte Schriftsteller geworden war, bei dem die Hollywood-Produzenten regelmäßig Schlange standen, um seine Bücher zu verfilmen.
    „Komm so schnell wie möglich“, hatte Roger ihm gesagt. „Es geht um Jenny.“
    Seine Frau Jennifer. Sie war schwanger, im siebten Monat.
    „Schaffst du’s mit ihr bis ins Krankenhaus?“
    „Ich glaube nicht, dass sie transportfähig ist.“
    „Dann ruf‘ ich einen Krankenwagen.“
    „Sie will ausdrücklich dich.“
    Humorloses Lachen war McArthurs Antwort. „Roger, schau‘ nach draußen. Da scheint die Welt unterzugehen.“
    Natürlich war der Arzt trotzdem aufgebrochen. Das gebot ihm nicht nur der Hippokratische Eid, sondern noch mehr seine Freundschaft zu Roger.
    Ein Fehler, wie er bald feststellte: Der Regen nahm beständig zu, der Sturm tobte, als wolle er sein Auto wegwehen, und das Laub der Bäume, das im Wind tanzte, raubte ihm fast die Sicht. Hinzu kam die Dunkelheit der Nacht; die Scheinwerfer vermochten die Schwärze kaum zu durchdringen. Sie wurden aufgehalten von einer silbern schimmernden Wand aus dicken, klatschenden Tropfen.
    Obwohl der Arzt nur Schritttempo gefahren war und es bis zu Rogers Haus mitten im Wald lediglich acht Meilen waren … er war zu spät. Irgendwann, etwa auf halber Strecke, war die Straße unterspült, fanden die Reifen keinen Halt mehr und der Wagen schlitterte in den Straßengraben.
    Sein Handy war tot, kein Empfang. Keine Chance, jemanden um Hilfe zu rufen. Er konnte nicht einmal Roger anrufen und ihm telefonisch Ratschläge geben, was er zu tun hatte. Und er konnte auch nicht den Wagen verlassen und Hilfe holen.
    Draußen schien in den quälend langen Stunden tatsächlich die Welt unterzugehen. Der Sturm rüttelte an seinem Wagen, donnerte andauernd dagegen und begehrte Einlass.
    Niemand war auf der Straße, niemand war so verrückt, sich mitten in der Nacht nach draußen zu wagen.
    Eher zufällig hatte ihn schließlich ein Wagen des Straßendienstes entdeckt, der die Strecke nach umgestürzten Bäumen absuchte. Für das Seilgewinde des Geländewagens war es ein Leichtes, das Auto des Arztes aus dem Graben zu ziehen.
    Als er schließlich, noch immer am ganzen Leib bebend, Rogers Haus erreichte, waren vier Stunden seit ihrem Telefonat vergangen. Ein Kloß tauchte in seinem Hals auf. Ein mächtiger Kloß, der in ihm das Gefühl hervorrief, jemand versuche ihn zu erdrosseln.
    Der Sturm hatte inzwischen deutlich nachgelassen. Doch der Schaden war längst angerichtet. McArthur wusste, er kam viel zu spät.
    Rogers Haus war groß und zweistöckig. Die Fassade bestand aus Holz und gab dem Gebäude ein Flair des Urbanen.
    Sofort fiel ihm auf, es brannte Licht. Praktisch überall im Haus brannte Licht. Es drang durch fast alle mannshohen Fenster nach draußen, wie ein schillernder Leuchtturm im Dunkel.
    Er ging die drei Stufen zur Veranda nach oben, seinen Arztkoffer fest umklammert. Das Schlimmste stand ihm jetzt unmittelbar bevor.
    Er läutete. Einmal, zweimal, dreimal …
    Keine Reaktion. Niemand öffnete ihm.
    Abermals drückte der Arzt die Klingel, und der Kloß in seinem Hals nahm zu.
    „Du bist zu spät, Jim.“
    Zunächst hatte er gar nicht bemerkt, dass sich die Tür geöffnet hatte; seine Gedanken kreisten noch immer um den Orkan, den er soeben überlebt hatte.
    Roger stand in der Tür: groß gewachsen, graues Haar, das er zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Das Selbstbewusstsein, das er ansonsten wie einen Panzer um sich trug, existierte nicht länger. Seine ansonsten stolz erhobenen Schultern waren nach unten gesackt, seine Stimme klang wie aus einer Gruft.
    „Tut mir leid“, sagte der Arzt lakonisch. Ihm war klar, das war zu wenig. Andererseits hatte er sich nichts vorzuwerfen, er hatte keinen Fehler begangen, außer dem, helfen zu wollen.
    Er wagte nicht zu fragen, was geschehen war.
    Roger nahm ihm diese unangenehme Pflicht ab.
    „Sie ist tot.“
    „Jennifer?“ Alles in ihm weigerte sich wahrzuhaben, was er da hörte. Keine Frage, eine Schwangerschaft barg Risiken. Jede Schwangerschaft barg die. Doch die von Jennifer Welch war völlig normal verlaufen für eine 28jährige Frau, deren erstes Kind es war. Vorbildlich geradezu. Dr. McArthur hatte sie ständig kontrolliert. Er wusste, wie sehr Roger sich auf sein erstes Kind freute.
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