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Die sieben Häupter

Die sieben Häupter

Titel: Die sieben Häupter
Autoren: Tanja Belinda; Kinkel Richard; Rodik Ruben; Dübell Malachy; Wickenhäuser Mani; Hyde Tessa; Beckmann Horst; Korber Helga; Bosetzky Titus; Glaesener Rebecca; Müller Guido; Gablé Dieckmann
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Prolog
    Ein sächsisches Dorf, im Jahre des Herrn 1223
    D er Leib des Fremden war eine einzige Wunde.
    Ethlind konnte ihre Abscheu kaum verbergen, als sie ihm die schmutzigen Binden von den geschwollenen Fußknöcheln löste. Oberhalb der Wade schien sich die wäßrige Haut mit dem groben Leinen zu einer grotesken Einheit aus Sehnen und Streifen verbunden zu haben. Faustgroße Flecken von Blut und Eiter drangen durch den Stoff und sonderten einen so widerlichen Geruch ab, daß es Ethlind beinahe den Magen umdrehte.
    Der Mann drehte sich auf die Seite, krümmte sich und begann leise zu wimmern, dabei hatte sie ihn noch nicht einmal berührt. Die Tortur der Säuberung stand ihm noch bevor. Behutsam legte Ethlind ihre Hand auf seine Stirn. Seine Haut glühte wie ein funkensprühendes Kohlenbecken. Besorgt stellte sie fest, daß seine Augenlider unter ihren sanften Berührungen zuckten, als begehrten sie gegen die unfreiwillige Ohnmacht auf, die ihn nun bereits seit drei Tagen in einem Winkel der sächsischen Bauernkate auf sein Strohlager zwang.
    »Ich brauche eine Schüssel Wasser«, rief Ethlind über die Schulter. Sie konnte ihre Dienstmagd im Dämmerlicht der kleinen Kammer kaum erkennen, denn draußen auf der Gasse war es noch zu hell für eine Lampe, und das Herdfeuer brannte, auf Befehl des Bauern, nur in der gemeinschaftlich genutzten Stube. Aber sie wußte, daß Bertha irgendwo im Schatten stand, lauernd wie eine Katze vor dem Mauseloch, und jede ihrer Bewegungen haargenau vermerkte. In der Stubeklapperten Holzpantinen über den festgestampften Lehmboden. Ein mißmutiges Husten und Zischen war zu hören.
    »Bring mir auch einen Schwamm, er liegt auf dem Wandbord, gleich hinter den irdenen Krügen«, befahl Ethlind mit strenger Stimme. Sie ahnte, daß es der jungen Magd ihres Vaters gegen den Strich ging, ausgerechnet ihr zu gehorchen. Immerhin schlief Bertha seit dem vergangenen Winter, der so hart gewesen war, daß zwölf Dorfbewohner und drei Knechte des Gutsherrn das Zeitliche gesegnet hatten, nicht mehr in der Gesindestube. Sie teilte das Bett des Bauern. Vermutlich rechnet sie sich gute Chancen aus, bald selbst auf dem Hof das Sagen zu haben, dachte Ethlind und verzog den Mund. Als Magd war auf Bertha kein Verlaß, dafür besaß sie jene Qualitäten, von denen die Männer in den Schenken schwärmten, sobald der heiße Würzwein ihren Körper erhitzte. Daß sie ein verschlagenes Biest war, interessierte weder ihren Vater noch die Knechte und Freibauern, denen Bertha im Laufe der vergangenen Monate schöne Augen gemacht hatte.
    Ethlind biß sich auf die Unterlippe. Gewiß würde Bertha ihrem Vater heute abend brühwarm berichten, daß Ethlind ihr verboten hatte, zum Gutshaus hinaufzugehen, um seinen Auftrag auszuführen. Daß sie ihre Arbeit vernachlässigte, um mit diesem verlausten Vaganten zusammenzuhocken. Ihm die Wunden zu verbinden. Seinem Gestammel von fernen Ländern zu lauschen …
    Ethlinds langer, geflochtener Haarzopf rauschte über die Decke, die sie zum Schutz vor der beißenden Februarkälte über den entblößten Oberkörper des Bewußtlosen gelegt hatte. Sie bestand aus zusammengenähten Kaninchenfellen und gehörte dem Hausherrn. Er war stolz auf diese Decke, zeigte sie überall herum, als versuche er mit ihrer Hilfe Ethlinds Chancen auf dem Heiratsmarkt zu verbessern. Nun aber hatte sie längst den Geruch des Kranken und seines Lagersangenommen. Und auch dafür würde ihr Vater sie verachten.
    Sie erhob sich. Ihr war eingefallen, daß es noch einen kleinen Vorrat an Heilkräutern im Hause gab. Der alte Lurias, ein fahrender Krämer, der zweimal im Monat mit seinem Karren den Pfad zum Hofgut einschlug, hatte sie ihr vor Mariä Lichtmeß überlassen, damit sie dem Krampfhusten ihres Vaters zu Leibe rücken konnte. Einige der Arzneien bewahrte sie seitdem in versiegelten Zinnkrügen auf, die in einem Hohlraum zwischen den Schiebesteinen des Kellerfensters klemmten. Bertha wußte nichts von diesem Versteck, und dies war auch besser so.
    »Ich gebe Euch etwas gegen das Fieber, sobald das dumme Ding aus dem Haus ist, Herr«, sagte sie leise. Sie warf ihren Zopf zurück, während sie sich von neuem über den Leib des jungen Mannes beugte. Als sie ihn im Graben vor dem Fallgatter des Dorfes aufgelesen hatte, war sein Gesicht unter der dicken Schicht aus geronnenem Blut, Staub und verkrustetem Schmutz kaum zu erkennen gewesen. Aber Ethlind hatte trotz dieses erbärmlichen Anblicks sofort gespürt,
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