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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht verjähren lassen. Ich habe die Frist durch eine Wiederaufnahme und die Verhaftung eines Falschen hinausgeschoben.«
    »Durch einen Trick also?«
    »Ja.«
    Gerholdt wandte sich ab. Die Vergangenheit war nicht gestorben.
    »Sie könnten mich also verhaften?«
    »Ich werde es auch tun.«
    Gerholdts Kopf fuhr herum. Seine tiefliegenden harten Augen sahen verblüfft Dr. Werner an.
    »Warum nicht sofort?«
    »Weil ich noch ein genaues Beweismaterial brauche. Ich werde erst mit Rita von Buckow sprechen!«
    »Nein!« schrie Gerholdt auf. Er stürzte auf Dr. Werner zu und umklammerte seine Rockaufschläge. In seinem Blick jagte die Angst einer gehetzten Kreatur, die keinen Ausweg mehr kennt. »Das dürfen Sie nicht tun! Rita darf nie etwas davon wissen! Sie ist mein Kind! Mein Kind! Ganz allein mein Kind! Mit meinem Blut habe ich sie gerettet, mit dem Einsatz meines Lebens habe ich sie mitten aus den Russen herausgeholt … ich habe alles für sie getan, ich habe geschuftet, ich habe in zwanzig Jahren ein Millionenobjekt aufgebaut, ich habe alles für sie getan – – –«
    »Aber das hebt doch nicht die Tatsache auf, daß Rita eine Tochter des Reeders von Buckow ist! Nicht nur war, sondern ist!«
    »Sie heißt Gerholdt!« Frank Gerholdt sah Dr. Werner triumphierend an. »Wir haben die Pässe, mein Lieber! Amtliche Dokumente! Wir haben es schwarz auf weiß: Rita ist eine Gerholdt!«
    Dr. Werner nickte sinnend. »Nach der Kapitulation durch eine eidesstattliche Erklärung ausgestellte neue Papiere …«
    »Stimmt.«
    »Dann kommt der Meineid auch noch dazu!«
    Gerholdt winkte ab. »Addieren Sie bitte nicht meine Strafen. Sagen Sie mir, was Sie tun wollen.«
    »Da muß ich weit ausholen.« Dr. Werner brannte sich eine Zigarre an. »Sie auch, Gerholdt?«
    »Danke. Ich kann jetzt nicht rauchen.«
    »Ich muß Ihnen dreiundzwanzig Jahre erzählen, Gerholdt. Sie sollten sich doch eine anstecken.«
    »Danke.« Er schenkte sich ein Glas Rotwein ein. »Ich trinke lieber. Das betäubt.«
    Und Dr. Werner begann, die vergangenen dreiundzwanzig Jahre vor Gerholdt auszubreiten. Er schonte sich nicht, er schilderte jede Fehlspur, er schilderte die Verzweiflung, die ihn befiel, als der Fall aufgegeben wurde, und er erzählte von dem Zufall, der ihn wieder auf die Spur Gerholdts brachte.
    »Das Schicksal«, sagte er nach Stunden. Fünf Zigarrenreste lagen in dem silbernen Aschenbecher. Gerholdt lehnte am Kamin, den Kopf auf die Brust gesenkt. »Wenn es einen Gott gibt, Gerholdt – was Sie ja bezweifeln – dann hat er an Ihrem Leben bewiesen, daß er nichts vergißt und alles seinen Preis hat … auf Erden wie im Himmel! Man kann der Zeit davonlaufen, der irdischen Gerechtigkeit, dem Gewissen … einmal kommt der Tag, an dem gezahlt werden muß!«
    Gerholdt nickte schwer. Seine Stimme war heiser.
    »Und was geschieht nun, Dr. Werner?«
    »Ich werde morgen wiederkommen und Sie mitnehmen. Ganz offiziell. Ich werde einen Haftbefehl mitbringen.« Dr. Werner sah in die kalten Augen Gerholdts. Er stand vor dem wertvollen Gobelin, ein weißhaariger Mann mit einem zerfurchten Gesicht. Die Mumie des Frank Gerholdt, den er in Erinnerung hatte. Ein Greis … wie er. Und doch viel jünger. Ein Mensch am Ende – – – »Denken Sie an Flucht, Gerholdt?« fragte Dr. Werner mild. »Es wäre dumm … wir kennen uns doch, nicht wahr?«
    »Ich dachte nicht an Flucht.« Gerholdt sah Dr. Werner sinnend an. »Ich überlegte gerade, was damit gewonnen wäre, Sie umzubringen.«
    »Nichts! Ihr Aktenstück liegt in meinem Schreibtisch und auf dem Tisch die Nachricht, daß ich bei Ihnen bin. Außerdem liegt der Antrag des Haftbefehls schon zur Bearbeitung vor.«
    »Sie sind ein Fuchs, Dr. Werner.«
    »Sie waren dreiundzwanzig Jahre schneller, Gerholdt.«
    Dr. Werner nahm seinen Hut und reichte Gerholdt die Hand. Es war ein herzlicher Händedruck.
    »Bis morgen früh, Gerholdt.«
    »Bis morgen –«
    Frank Gerholdt sah Dr. Werner nach, wie er über den Plattenweg durch den Vorgarten ging, auf der Rheinstraße in seinen Wagen kletterte und mit aufgeblendeten Scheinwerfern durch die Nacht davonfuhr.
    Dort fährt mein Leben davon, dachte er. Dort vergeht es, wie der Schein der Lampen, die schwächer und schwächer werden. Er schloß die Tür und setzte sich in der Halle in einen der tiefen Sessel unter dem Gobelin. Den Kopf in die Hände gestützt, starrte er vor sich hin und kam sich leer und wie ausgesetzt vor.
    Rita wird es erfahren – das war das
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