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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schmelzöfen und Hallen, zu den Walzenstraßen und den blinkenden Fensterreihen des großen Verwaltungsgebäudes, und er las die Nummernschilder der Wagen, die auf dem Parkplatz vor dem Eingang standen … Nummern eines ganzen Erdballes.
    Die Welt war bei Frank Gerholdt zu Hause.
    Und draußen stand ein kleiner, alter Kriminalrat und wollte dies alles zerstören durch drei nüchterne, hundertmal gesagte Worte: Sie sind verhaftet! Durfte er das überhaupt?
    In Dr. Werner tauchten Zweifel auf. Er biß sich auf die Lippen und starrte auf das wimmelnde Leben vor sich auf dem Fabrikhof.
    Wem nutzte er damit, wenn er Gerholdt verhaftete? Dem Staat? Er verdiente am Werk Gerholdts! Er nahm die Steuern ein, er sah mit Wohlwollen, wie die Werke sich vergrößerten und neue Arbeiter einstellten. Er freute sich über die Exporte und über den Namen Deutschland, der mit Gerholdts Erzeugnissen um den Erdball lief.
    Dem Recht? Nutzte er dem Recht? Was war Recht noch in dieser Lage? Hatte er Rita getötet? Hatte er Herrn und Frau von Buckow getötet? Er hatte ein Kind geraubt … erpresserische Entführung, sagt das Gesetz. Und er, der Kriminalrat Dr. Werner, hatte die Verjährung aufgehalten, indem er den Fall kurz vor dem Ablaufen der Frist neu aufnahm und so der Gerechtigkeit offen hielt.
    Doch war das Gerechtigkeit?
    War es recht, diese Werke zu schließen? Elend unter die Arbeiter zu säen? Rita, die jetzt eine junge Dame sein mußte, in einen seelischen Zwiespalt zu stürzen, aus dem sie nie wieder zurückfand? War es Gerechtigkeit, dieses herrliche, goldene Gebäude, das Gerholdt für Rita geschaffen hatte, wieder einzureißen, um dem Paragraphen Genüge zu tun?
    Durfte er das noch … nach dreiundzwanzig Jahren?
    Dr. Werner blieb in seinem Wagen sitzen und fuhr die Rheinstraße zurück zu der weißen Villa.
    Ich werde mit ihm sprechen, sagte er zu sich. Ich werde ihm meinen ganzen persönlichen Haß entgegenschleudern und dann das Haus verlassen. Ich werde die Akten vernichten, die nirgendwo mehr registriert sind, nur noch in meinem Hirn und meinem Herzen.
    In diesem Augenblick wußte er, welch ein miserabler Kriminalist er war. Aber es schmerzte ihn nicht. Er empfand sogar so etwas wie Befriedigung, gesehen zu haben, wie schön und sonnig das Leben Ritas geworden war.
    Frau von Knörringen empfing Dr. Werner, als er an der Rundbogentür des Eingangs schellte.
    Er nahm den Hut ab und verbeugte sich knapp.
    »Zu Herrn Gerholdt.«
    Frau von Knörringen musterte den Besucher kritisch. Seit den Attacken Fred von Buckows war jeder Unbekannte bei ihr verdächtig, die Stille des Hauses zu stören.
    »Herr Gerholdt ist verreist«, sagte sie verschlossen.
    »Fräulein Rita?«
    Frau von Knörringen sah Dr. Werner erstaunt an. Weiße schüttere Haare, ein faltiges Gesicht … Alter ungefähr sechzig Jahre.
    »Was wollen Sie von dem gnädigen Fräulein?«
    Diese Frage klang wie ein Angriff. Dr. Werner lächelte mild.
    »Ich bin ein alter Bekannter von Fräulein Rita. Aus Hamburg her.«
    »Fräulein Rita war nie in Hamburg!«
    »Als Kind!«
    »Da war sie bei mir in Ostpreußen!«
    »Ach –« Dr. Werner zog die Augenbrauen hoch. »In Ostpreußen. Sieh an. Und Herr Gerholdt auch?«
    Frau von Knörringen musterte den Besucher wie einen Bettler, der dreist den Fuß zwischen die sich schließende Tür stellt.
    »Am besten fragen Sie Herrn Gerholdt selbst. Er wird heute zurückkommen aus Italien.«
    »Mit Fräulein Rita?«
    »Allein.«
    »Das ist mir auch lieber. Auf Wiedersehen, alte Dame.«
    Erstarrt sah Frau von Knörringen Dr. Werner nach, wie er zu seinem Wagen ging. Alte Dame! Die Flegel sterben nicht aus, und wenn sie sechzig Jahre alt sind! Mit einem Knall, den der lächelnde Dr. Werner noch hörte, schloß sie die Tür und verriegelte sie.
    Dann stand sie vor dem großen Spiegel in der Halle und betrachtete ihr Gesicht.
    Alte Dame! Es war unerhört, wie ungalant und verroht der Krieg die Männer gemacht hatte …
    Die ganze Nacht hindurch hatte Frank Gerholdt in der Fabrik Verhandlungen mit seinen Direktoren, Abteilungsleitern und Abgesandten der ausländischen Interessenten. Dr. Schwab hatte einen großen Erweiterungsplan ausgearbeitet. Er war so weit gegangen, die Gedanken Gerholdts schon einzufügen, und hatte einen genauen Plan für den Ausbau vorgelegt. Halbfertigwerke in Liberia und Südamerika, Neubauten auf den Karibischen Inseln, Erschließungen von Bodenschätzen im bolivianischen Urwald … Pläne, die den Namen Gerholdt
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