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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand
Autoren: Heinz G. Konsalik
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der Nachttischlampe.
    »Er ist nicht ihr Bruder«, sagte der Pfarrer leise.
    Über Gerholdts Gesicht lief ein wildes Zucken. Er wollte aus dem Bett emporschnellen, aber das Gift lähmte ihn bereits und machte seinen Körper zu einer kraftlosen Masse Fleisch, Knochen und Sehnen.
    »Das ist nicht wahr –«, stammelte er.
    »Ich habe vorhin mit Dr. Werner gesprochen. Rita hatte keinen Bruder … Fred v. Buckow ist ihr Vetter, der Sohn ihres Onkels aus Bremen.«
    »Sie lügen!« schrie Gerholdt auf. Er riß die Bettdecke an sich, als müsse er sich vor einem Überfall schützen. In seinen Augen flackerte es wie Irrsinn. Der Pfarrer legte die Hände auf seine zuckenden Finger.
    »Glauben Sie, daß ich Sie anlüge? Ich?«
    Gerholdt atmete röchelnd. Sein Körper zitterte wie in einem Schüttelfrost.
    »Dann … dann war ja alles umsonst …«
    »Alles –« Der Pfarrer beugte sich über den Sterbenden. Er legte ihm die Hand auf die schweißnasse Stirn und sah ihm in die weit aufgerissenen Augen. »Wie kann ein Mensch glauben, das Schicksal zu besiegen, Frank Gerholdt … Du hast Schlachten gewonnen … viele Schlachten … aber nicht den Sieg! Denn aus Gottes Hand kommt der Mensch, und in Gottes Hand kehrt er zurück … wie kannst du armer, kleiner Mensch dies ändern wollen?«
    Frank Gerholdt schloß die Augen. Er nickte und sank tief in die Kissen zurück. Und plötzlich lächelte er und umklammerte die Hände des Pfarrers.
    »Ich hinterlasse ihnen ein schönes Leben, Herr Pastor. Segnen Sie die Kinder … und bitten Sie sie darum, mir zu verzeihen. Ich weiß, Rita wird es können. Sie ist so ganz mein Kind geworden, daß ich weiß, wie stark und hart sie dieses Schicksal werden läßt. Sie wird nicht untergehen im Leben, denn ich habe ihr etwas gegeben, was ich nie besaß: den Glauben an das Gute.« Er öffnete die Augen und sah den Pfarrer lächelnd an. »Ist es nicht merkwürdig, dieses Leben, Herr Pastor? Ein schlechter Mensch schuftet sein ganzes Leben lang, um einen guten Menschen zu erziehen … es ist wie eine komplizierte Rechnung, die man auf einen Nenner bringen kann. Alles, was geschieht zwischen Himmel und Erde, ist nur Leben! Ein Begriff, gewaltig wie das Wort ›All‹. Was ist Unendlichkeit? Auch nur ein Stück Leben!« Er drückte die Hand des Pfarrers mit der letzten Kraft, die noch in seinen Fingern ruhte. »Jetzt bin ich glücklich, gelebt zu haben.«
    Er lächelte, wirklich von innen her überzogen von dem Glück. Der Pfarrer ließ seine Hand auf seiner Stirn liegen, und er betete leise, als er sah, wie die Haut an der Nase gelbweiß wurde und durch die Brust ein Röcheln zog.
    »Wo ist Gott?« fragte Gerholdt leise.
    »Bei uns …«
    »Hier im Raum …?«
    »Neben unserem Bett.«
    »Ich bitte ihn um Verzeihung –«
    »Er hat bereits verziehen …«
    Über das Gesicht Gerholdts glitt ein heller Schein. Es war, als leuchte es von innen heraus, als zerfließe es in Licht.
    Er starb mit einem Lächeln. Er starb herrlich. Es war ein Weggleiten ohne Mißklang, ein wirkliches Aufgehen in die Unendlichkeit –
    »Lassen Sie mich ihn ansehen«, sagte Dr. Werner, als der Pastor aus dem Schlafzimmer trat und ihm zunickte. »Er war ein Mensch, von dem man sagen durfte: Er war ein Rätsel. Und Rätsel sind wir alle –«
    Leise ging er in das Zimmer und sah versonnen auf das lächelnde, im Tode entspannte und glatte Gesicht Frank Gerholdts. Er stand da und sah ihn an, ohne Groll, ohne Haß, sondern mit den Augen eines Verstehenden. Hinter sich hörte er das Schluchzen Frau v. Knörringens.
    Glücklich ein Mensch, dachte er, um den man weint. Denn der Schmerz der Verlassenen ist der Maßstab seiner Taten.
    Er verließ das Zimmer und traf in der Halle auf den Pfarrer.
    »Was werden Sie jetzt tun?« fragte der Pastor. Dr. Werner sah vor sich hin.
    »Ich werde nach Ischia fahren und dafür sorgen, daß seine Tochter nach seinem Wunsche lebt …«
    Er sagte ›seine Tochter‹.
    Und es fiel ihm nicht schwer, dies zu sagen …
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