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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand
Autoren: Heinz G. Konsalik
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weißen Haare mit dem dunklen Graphit. Dann setzte er sich wieder vor das Bild und starrte Gerholdt an.
    »Ich habe dich!« sagte er leise. »Nach dreiundzwanzig Jahren habe ich dich! Endlich, endlich. Und jetzt entkommst du mir nicht wieder … du kannst mir gar nicht entkommen, Großindustrieller Frank Gerholdt! Du bist jetzt zu bekannt, um unterzutauchen! Damals warst du einer aus der Masse, eine Hamburger Kellerratte wie tausend andere. Du konntest untertauchen, weil dich keiner vermißte, und du konntest durch die Welt ziehen, weil Millionen hungerten und sich nicht um den anderen kümmerten, der mit ihnen von Stadt zu Stadt zog. Doch jetzt bist du ein Millionär, Frank Gerholdt. Du hast es weit gebracht … ich habe Achtung vor dir! Aber du hast eine Familie vernichtet, um das zu werden, was du heute bist. Du hast ein Kind geraubt. Du hast die Frau, die ich liebte, in den Tod gehetzt, wahnsinnig geworden durch deine Tat! Und deshalb kenne ich heute auch kein Mitleid und werde dich vernichten trotz der dreiundzwanzig Jahre, in denen du groß wurdest und ein geachteter Mann!«
    Dr. Werner strich sich über die Augen. Welche Visionen! Er erhob sich, ging zum Telefon und rief, nachdem er das Impressum der Zeitschrift gelesen hatte, die Redaktion des Blattes an.
    »Kriminalpolizei«, sagte er zur Einleitung. Der Redakteur am anderen Ende der Leitung kratzte sich den Kopf.
    »Bitte?«
    »Sie haben in Ihrer neuen Ausgabe ein Foto gebracht. Ein Foto von Herrn Gerholdt.«
    Aha, dachte der Redakteur. Daher weht der Wind. Der alte Gerholdt hat das Bild gesehen und jagt uns jetzt die Polizei auf den Hals. Habe ich ja gleich gesagt, als der Müller mit dem Foto kam: Das gibt 'n Stunk in der Bude! Doch der Chef sagte: »Nehmen wir. Gerholdt ist eine Person der Zeitgeschichte und von öffentlichem Interesse! Er kann gar nichts wollen!«
    »Ja«, antwortete er langsam. »Durch Zufall kam uns …«
    Dr. Werner ließ ihn nicht aussprechen. »Ich bitte um die Adresse des Herrn.«
    Der Redakteur sah dumm zu seiner Stenotypistin hinüber und tippte an die Stirn. Verrückt. »Wie bitte?« fragte er zurück.
    »Die Adresse!« bellte Dr. Werner.
    »Wer ist denn dort?«
    »Kriminalrat Dr. Werner!«
    »Frank Gerholdt – Düsseldorf.«
    »Straße?«
    »Wissen wir nicht. Aber ich nehme an, daß die Kriminalpolizei Zugang zum Melderegister hat.«
    Dr. Werner hängte ab.
    In Düsseldorf.
    Er wohnte neben ihm in einer Stadt!
    Durch Dr. Werner zog das Fieber eines Jägers, der die Fährte des lange gesuchten Wildes entdeckt hat und ihr nachgeht.
    Nach zehn Minuten hatte er die Adresse in den Händen.
    Rheinische Stahlwerke GmbH.
    Eine weiße Villa unterhalb Düsseldorfs am Rhein.
    Er bestellte einen Wagen und raste hinaus zu den Werken. Versonnen stand er dann am großen Eingangstor und überblickte die Hallen und Hochöfen, das neue, gläserne Verwaltungsgebäude und die Menge der Menschen, denen das Werk Arbeit und Brot gab.
    Frank Gerholdts Werk!
    Dr. Werner blieb hinter dem Steuer seines Wagens sitzen. Was wird aus diesen Menschen, dachte er plötzlich, wenn ich ihnen Gerholdt wegnehme? Die Fabrik wird schließen, Hunderte Arbeiter werden den Mann verfluchen, der ihnen die Zukunft nahm: den Kriminalrat Dr. Werner. Was kümmert es sie, daß dieser Gerholdt ein Verbrecher war? Heute ist er der Herr über Tausende Arbeiter, heute umfaßt er die Welt mit seinen Händen, den gleichen Händen, die einmal ein unschuldiges Kindermädchen würgten und einen schlafenden Säugling aus seinem Bettchen rissen. Es sind die gleichen Hände, die heute Millionen verteilen, die Verträge unterschreiben und den deutschen Namen im mißtrauischen Ausland wieder zu einer Geltung bringen! Es sind die gleichen Hände, die heute von Ministern und Fürsten gedrückt werden und die vor dreiundzwanzig Jahren die Türen der Apotheke in Hamburg aufstemmten, um das Mittel zu stehlen, das Rita vor dem Tode retten konnte.
    Wer fragte heute noch danach? Wer erinnerte sich noch des ›Falles Gerholdt‹? Ein Kind wurde gestohlen – – – vor dreiundzwanzig Jahren! Es starb nicht … es verschwand, wurde großgezogen, mit Liebe umgeben und wurde die Tochter eines Millionärs … des Großindustriellen Frank Gerholdt, dessen Hartstahl den Namen Made in Germany in alle Winkel der Welt trug.
    Dr. Werner zögerte, aus dem Wagen zu steigen. Er sah hinüber zum Rhein, wo die Schlepper an den fabrikeigenen drei Laderampen mit großen Kränen beladen wurden … er sah zu den
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