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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Alles, was er tat, war ungeheuerlich, unheimlich, unbegreiflich, außerhalb aller Maßstäbe.
    Endlich, gegen zwei Uhr morgens, kam Gerholdt aus dem großen gläsernen Tor des Verwaltungsgebäudes. Dr. Schwab und einige andere Herren begleiteten ihn zu seinem Wagen und drückten ihm die Hand.
    »Wann sehen wir Sie wieder, Herr Gerholdt?« fragte Dr. Schwab mit trockener Kehle. Es war ihm, als nähme er Abschied für eine lange Zeit … für immer. Gerholdt klopfte ihm auf die Schulter.
    »Wir werden oft miteinander sprechen. Telefon und Drähte gibt es auf der ganzen Welt. Sie werden mich schon nicht vergessen. Auf Wiedersehen? Vielleicht morgen – vielleicht in einem Monat – einem Jahr? Wer weiß es? Ich bin plötzlich da, wenn ich Sehnsucht nach dem Rhein und meinem Werk habe. Sie kennen mich doch, Dr. Schwab – ich bin wochenlang geritten, mitten durch die russischen Linien, um wieder an den Rhein zu kommen. Vielleicht habe ich diesen Drang auch einmal wieder – – –«
    »Hoffentlich bald, Herr Gerholdt.« Dr. Schwab schluckte. Er hatte das Gefühl, weinen zu müssen. »Was sollen wir ohne Sie, Herr Gerholdt?!«
    »Arbeiten, mein Bester.«
    Er stieg in seinen großen Mercedeswagen und winkte den in der Nacht stehenden Direktoren zu. Dann fuhr er langsam an, rollte aus dem Fabrikhof auf die betonierte Zufahrt, von dort auf die Straße und an Dr. Werner vorbei hinaus in die Dunkelheit.
    Dr. Werner wartete, bis die roten Rücklichter in der Ferne verschwanden, dann fuhr er dem Wagen nach. Er brauchte nicht mehr hart auf den Fersen zu bleiben … er kannte den Weg Gerholdts.
    An der weißen Villa, die dunkel am Rhein lag, hielt er. Der Wagen Gerholdts stand vor der Garage. Nur zum Rhein hin, dort, wo die breiten Fenstertüren sich zur Terrasse öffneten, war ein schwacher Lichtschein. Gerholdt saß am offenen Kamin und trank eine Flasche Rotwein.
    Allein, versunken und ganz aufgegangen in der stillen Freude, den großen Sinn seines Lebens erreicht zu haben. Ruhe! Wundervolle, belebende, kräftigende Ruhe.
    Ein Leben nur noch für Rita. Eine Erfüllung, wie sie schöner keinem Menschen geschenkt wird: ganz aufzugehen in dem, was er auf Erden als Einziges wirklich liebte: sein Kind.
    In diese fast feierliche Stille seines Herzens hinein tönte die schrille Klingel der Tür.
    Gerholdt winkte Frau v. Knörringen ab, die im Morgenrock aus der Tür ihres Zimmers gelaufen kam.
    »Ich öffne selbst. Gehen Sie schlafen.«
    Als er den Riegel wegschob und die Tür aufriß, sah er in zwei harte, braune, große Augen. Und eine Stimme sagte langsam:
    »Da bin ich, Frank Gerholdt.«
    Gerholdt nickte. Ein Eisstrom durchzog seine Adern, das Herz verging in dieser Kälte und wurde ein Block. Ein gefühlloser Klumpen aus Eis, der keine Regung mehr kannte und kein Schlagen … nur noch das Ausströmen von Kälte und Grauen.
    »Kommen Sie herein, Dr. Werner – – –«
    Der Kriminalrat trat in die große, herrliche Halle. Der Luxus blendete ihn. Welch ein Reichtum, durchfuhr es ihn. Welch ein Geld muß dieser Mann haben! Was ist aus ihm geworden – – – und was bin ich geblieben?
    Er kam sich plötzlich schäbig vor und in seiner Wichtigkeit fast lächerlich.
    »Sie erkennen mich wieder?«
    »Ich werde nie ein Gesicht vergessen, das ich haßte.«
    »Sie hassen mich?«
    »Ihr Gesicht verfolgt mich im Traum. Seit dreiundzwanzig Jahren.«
    »Sie haben Angst vor der Vergangenheit? Sie hängen an ihr?«
    »Sie nicht, Dr. Werner?«
    Der Kriminalrat blickte zu Boden. Ein echter, alter, dunkelroter Afghan bedeckte den Plattenboden der Halle. Ein riesiger Teppich, geknüpft in den Hütten am Rande der Wüste. An der großen Längswand hing ein Gobelin. Sechzehntes Jahrhundert. Ein Rittermotiv. Vor vierhundert Jahren hatten zarte Frauenhände in den Kemenaten den Stoff mit Goldfäden bestickt. Vielleicht ein Geburtstagsgeschenk … vielleicht für eine Hochzeit. Dr. Werner hob den Kopf und begegnete dem Blick Gerholdts.
    Das Eis seines Herzens war jetzt bis in die Augen gestiegen. Dr. Werner schauderte vor diesem Blick zurück.
    »Ich wollte die Vergangenheit begraben, Gerholdt.«
    »Und kamen trotzdem?«
    »Um Sie noch einmal zu sehen und Ihnen zu sagen, welch ein Lump Sie sind.« Er hob die Hand, als Gerholdt etwas erwidern wollte, und sprach schnell weiter. »Das wollte ich Ihnen als meine private Meinung sagen. Dienstlich würde das anders klingen.«
    »Mein Fall ist verjährt.«
    Dr. Werner schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn
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