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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schlimmste aller seiner Gedanken. Sie wird erfahren, daß ich nicht ihr Paps bin, daß ich sie einmal aus einem Kinderbett raubte, daß ich sie großzog in einer Mansardenwohnung in Köln-Riehl, daß ich ein ganz gemeiner, kleiner Lump bin, der wegen hunderttausend Mark das Glück einer Familie vernichtete und zwei Menschen in den Tod trieb. Die wahren Eltern Ritas …
    Er strich sich über die Augen. Sie wird es nicht überleben, das wußte er. Sie würde unter dieser schrecklichen Wahrheit zusammenbrechen. Noch mehr aber würde es sie entsetzen, daß ihr Geliebter Fred in Wirklichkeit ihr Bruder ist, daß die ganze Welt so angefüllt ist mit Gemeinheit, daß sie es nie ganz begreifen würde, welch ein Schicksal sie hinter sich ließ … dieses verfluchte Schicksal aus zweiter Hand, das er, Frank Gerholdt, über das wahre, von Gott vorbestimmte Schicksal setzen wollte. Er hatte Gott zwingen wollen, umzudisponieren, so, wie man zu einem Buchhalter sagt: Schließen Sie die Bilanz ab … machen Sie einen Strich darunter … Ab heute beginnt eine neue Firma mit einem neuen Hauptbuch!
    Er erhob sich und ging in der großen Halle hin und her. Seine Schritte hallten durch die nächtliche Stille des Hauses wie Hammerschläge.
    Es gab keinen Ausweg mehr, das sah er jetzt klar ein. Wo immer noch eine Möglichkeit bestand, hatte er sie in diesen dreiundzwanzig Jahren ausgenutzt. Immer fand er einen Ausweg, immer gab es einen Platz, wo er seinen Willen ansetzen konnte wie den Hebel des Archimedes, der einmal sagte: Gebt mir einen Platz, wo ich meinen Hebel ansetzen kann, und ich hebe euch die Welt aus den Angeln! – Jetzt gab es keinen Platz mehr für Frank Gerholdt … ein dreiundzwanzigjähriges Leben, ein großes, herrliches, erfolgreiches, gekröntes Leben schrumpfte zusammen zu einem Tag. Zu jenem Tag im Jahre 1932, als der halb verhungerte Werftarbeiter Frank Gerholdt in die weiße Villa in Blankenese einstieg und das Mädchen Rita aus dem rosa Bettchen riß.
    »Ich werde Sie bekommen, Gerholdt!« sagte damals Dr. Werner am Telefon. »Und wenn Sie um die ganze Welt flüchten – ich habe Zeit, und diese Zeit arbeitet für mich!«
    Wie recht er hatte, wie grausam recht! Die Zeit war Sieger geblieben; die Zeit, die ihn glauben machte, er sei jetzt unbesiegbar. Er sei ein neuer Mensch. Ein unbekannter Mensch. Eine Geburt des Krieges, der alles vernichtete, was Vergangenheit hieß. Eine Trümmerpflanze des Zusammenbruchs, die üppig blühen kann, weil das Aas der vergangenen Jahre sie nährt. Und er hatte an alles gedacht … nur nicht an die Liebe seiner Tochter zu einem anderen Mann und an Gott, der nicht verzeihen kann, wenn man ihm immer spottet.
    Frank Gerholdt blieb mit einem Ruck stehen. Er warf den weißhaarigen Kopf in den Nacken und starrte an die getäfelte Decke der Halle. Zwölf Edelhölzer waren verwendet worden, diese Decke zu gestalten. Sie hatte soviel gekostet, wie sonst einfache Wohnhäuser kosten. Gerholdt lächelte schwach. Welch ein Luxus! Welch ein Verkriechen vor der Wirklichkeit, die nicht Luxus heißt, sondern Erbärmlichkeit. Auch ihn, der es nie glaubte, hatte das Geld blind und sorglos gemacht. Auch er verfiel der Bequemlichkeit des Reichtums, der Muße der Sorglosigkeit, dem Rentnertum des gefüllten Panzerschrankes.
    Er gab sich keiner Illusion mehr hin, daß ein Zufall ihn retten könnte. Die Zufälle waren ausgeschöpft. Dr. Werner würde konsequent vorgehen: Verhaftung, Benachrichtigung Ritas, Benachrichtigung Fred v. Buckows … Aber die Fabriken arbeiteten weiter, Dr. Schwab würde die Werke leiten, würde nach seinen Plänen die Zweigstellen ausbauen – in Liberia, in Südamerika, in Burma, in Indonesien … Und alles, alles würde Rita gehören … ein kleines, goldenes Pflaster für den Diebstahl ihrer Seele und die Ermordung der Mutterliebe. Für jedes verlorene Jahr eine Million – das war ein guter Preis, und doch war es nicht vergleichbar mit dem, was er ihr genommen hatte. Er, der gute, liebe Paps, den sie so sehr liebte …
    Frank Gerholdt stöhnte auf und lehnte sich gegen den Gobelin. So traf ihn Frau v. Knörringen, die in ihrem Zimmer die gleichmäßigen Schritte vernommen hatte und nun besorgt war, weil sie sie nicht mehr hörte.
    »Herr Gerholdt«, sagte sie erschrocken, als sie ihn mit zurückgeworfenem Kopf und mit beiden Händen bedeckten Augen an der Wand stehen sah. »Was haben Sie? Soll ich Prof. Bongartz rufen?«
    Gerholdt schüttelte den Kopf. Er ließ die Arme
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