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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand
Autoren: Heinz G. Konsalik
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länger?
    Er stand wie erstarrt und wartete. Er hob den Arm … er gehorchte noch. Er ging ein paar Schritte. Er schwankte nicht! Er dachte an Formeln und Berechnungen … sein Gehirn arbeitete und versagte noch nicht!
    Gerholdt nahm das Glas, ging hinaus in die Küche, spülte es aus und stellte es auf das Ablaufbrett. Dann nahm er die Schachtel mit dem restlichen Chiquaqua, ging hinüber in das große Gartenzimmer und schüttete das Pulver in den brennenden Holzstoß des offenen Kamins. Es verbrannte mit einer blaßblauen Flamme, still und unauffällig, so wie es auch das Leben wegnimmt.
    Jetzt schläft Rita, dachte Gerholdt. Sie liegt in ihrem Bett über den Klippen von Ischia. Das Fenster hat sie offengelassen, und der warme Wind überm Mittelmeer weht ins Zimmer, beult die Gardinen und streicht über ihr schmales, schönes Gesicht. Sie hat die goldenen Haare gelöst und liegt auf ihnen, wie auf einer Matte aus Goldfäden.
    Morgen kommt Paps wieder, träumt sie. Morgen werden wir draußen vor dem kleinen Hafen wellenreiten. Paps wird das Motorboot steuern, und ich jage hinter ihm her. Das aufspritzende Wasser wird mich wie eine Wolke umgeben … O du schönes Leben … du lieber, guter Paps –
    Stöhnend schlug Gerholdt beide Hände vor die Augen. Plötzlich weinte er. Das Niezurück ergriff ihn jetzt mit der ganzen Macht der Wahrheit. Und er zerbrach, wo er tapfer sein wollte. Er hatte sein Leben weggeworfen … und wußte jetzt, wie sehr er an ihm hing.
    Als der Morgen dämmerte und die Schleppkähne auf dem Rhein den Morgennebel mit ihren Nebelhörnern durchdrangen, saß Frank Gerholdt noch immer vor dem erloschenen offenen Kamin und starrte in die Asche.
    Nur ein Triumph war ihm geblieben: er betrog das Schicksal um den letzten Sieg! Er stahl sich weg – er stand nicht hinter einer Barriere des Gerichtes. Noch einmal wollte er der Stärkere sein, der allein über sein Leben und sein Ende bestimmte. Und es war der einzige, schwache, lächerliche Trost, den er sich geben konnte.
    Ich bin doch der Stärkere!
    Er war es nicht, denn er hatte Angst vor dem aufdämmernden Tag. Angst, nicht vor dem Tod, sondern Angst vor dem Sterben.
    Mit bleichem Gesicht sah Gerholdt den Pfarrer an. Sein Atem begann, stoßweise zu werden … in den Lungen rasselte die Luft … eine fast wohltätige Mattheit überzog seine Glieder. Er streckte sich und schwieg.
    Der Pfarrer hatte die Hände gefaltet und sah auf das schmale Gesicht des Sterbenden, auf die weißen Haare, die den Kopf umrahmten, auf die unruhigen, blassen Hände, die über die Bettdecke glitten.
    Gerholdt wandte den Kopf zur Seite.
    »Können Sie mich jetzt verstehen, Herr Pastor?«
    »Es ist schwer, mein Sohn –«
    »Es gibt Schlechtere als mich, Herr Pastor. Wenn ich jetzt am Ende mein Leben überblicke, darf ich von mir sagen: Ich war nur ein Mensch – weiter nichts.«
    »Und es ist gut, daß du zurückgefunden hast. Es gibt viele Sünder, und sie glauben, der Gerechtigkeit entgehen zu können. Sie schaffen es vielleicht auf der Erde – aber am Ende des Lebens steht ja Gott, und ihm entgeht keiner.«
    Frank Gerholdt lächelte leicht. »Gott! Es ist schön, daß Sie Ihre Pflicht tun und mir von Gott erzählen! Wie sagte ich zu Beginn meiner ›Lebensbeichte‹: Ich brauche mich nicht vor Gott zu fürchten, denn ich habe ein reiches Leben geführt und viel gebüßt.« Er richtete sich auf den Ellenbogen auf und blickte zur Tür hin. Dort, hinter ihr, in der Halle saß Dr. Werner und wartete darauf, der Sieger zu sein! Über Gerholdt flog ein Zittern. »Ich gehe mit einem ganz großen Triumph, Herr Pastor – ich betrüge die Welt noch einmal um ihren Schein des Rechtes, und auch das Schicksal habe ich überlistet, indem ich freiwillig gehe.«
    »Vielleicht ist dies Ihr wahres Schicksal, Herr Gerholdt?« sagte der Pfarrer milde.
    »Ich hätte es nie getan, wenn nicht ein Faktor in meinen Berechnungen aufgetaucht wäre, den ich nie einkalkulierte – die Liebe! Ich habe nie geglaubt, meine Tochter durch die Liebe zu verlieren! Ich habe es nie geglaubt, weil ich vielleicht nie geliebt habe. Ich hatte keine Zeit dazu … ich kämpfte gegen Gott und die Welt und vergaß darüber, daß jeder Mensch ein Herz besitzt, und daß dieses Herz Liebe kennt. So brach alles in mir zusammen, als Rita den ihr unbekannten Bruder liebte.«
    Der Pastor sah an die getäfelte Decke des Zimmers. Ein venezianischer Kristalleuchter hing von ihr herab. In ihm brach sich das schwache Licht
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