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Dustlands - Die Entführung

Dustlands - Die Entführung

Titel: Dustlands - Die Entführung
Autoren: Moira Young
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Silverlake
    E s ist ein heißer Tag. So heiß und trocken, dass ich nur Staub schmeck. Die Sorte weißglühender Tag, wenn man die Erde aufreißen hören kann.
    Seit fast sechs Monaten haben wir jetzt keinen Tropfen Regen mehr gehabt. Sogar die Quelle, die den See speist, trocknet langsam aus. Man muss jetzt ein ganzes Stück laufen, um einen Eimer voll zu kriegen. Wenn das so weitergeht, verdient der See seinen Namen bald nicht mehr.
    Silverlake – Silbersee.
    Jeden Tag versucht Pa es mit einem anderen Zauberspruch. Und jeden Tag ziehen am Horizont dicke fette Regenwolken auf. Sie kriechen langsam in unsere Richtung, und unsere Herzen klopfen schneller, unsere Hoffnung wächst. Aber lange bevor sie bei uns sind, reißen sie auseinander, werden immer dünner, bis sie ganz verschwinden. Jedes Mal.
    Pa sagt nie was dazu. Er starrt nur hoch zum Himmel, zum wolkenlosen grausamen Himmel. Dann nimmt er die Steine oder Zweige oder was er diesmal auf der Erde ausgelegt hat und verwahrt sie bis zum nächsten Tag.
    Heute schiebt er den Hut aus der Stirn. Legt den Kopf in den Nacken und guckt lange hoch zum Himmel.
    Ich glaub, ich versuch’s mal mit einem Kreis, sagt er. Doch, ich denk, ein Kreis ist vielleicht genau das Richtige.
    Lugh sagt es schon seit einer ganzen Weile. Mit Pa geht es bergab. Mit jedem Tag ohne Regen scheint wieder ein Stück von Pa zu … ich schätze, verschwinden ist das beste Wort dafür.
    Früher haben wir uns drauf verlassen können, dass wir einen Fisch aus dem See ziehen oder irgendein Tier aus unseren Fallen holen. Ansonsten haben wir ein bisschen was angebaut, ein bisschen was aufgestöbert, und alles in allem sind wir ganz gut zurecht gekommen. Aber seit einem Jahr reicht es einfach nicht mehr, egal was wir tun, egal wie sehr wir uns anstrengen. Nicht ohne Regen. Wir können zugucken, wie das Land stirbt, Stückchen für Stückchen.
    Und genauso ist es auch mit Pa. Mit jedem Tag vergeht ein bisschen mehr von dem, was am besten an ihm ist. Andererseits: Es geht ihm schon lange nicht mehr gut. Nicht so richtig. Seit Ma tot ist. Aber es stimmt, was Lugh sagt: Genau wie dem Land geht es auch Pa immer schlechter. Er ist mit den Augen immer öfter am Himmel statt bei dem, was gleich hier vor seiner Nase ist.
    Ich glaub nicht, dass er uns noch sieht. Nicht richtig.
    Emmi ist in letzter Zeit völlig verwahrlost, mit dreckigen Haaren und laufender Nase. Wenn Lugh nicht wär, würd sie sich bestimmt gar nicht mehr waschen.
    Bevor Emmi geboren worden ist, als Ma noch am Leben und alles gut gewesen ist, da ist Pa anders gewesen. Ma hat ihn immer zum Lachen gebracht. Er hat Lugh und mich rumgejagt oder uns in die Luft geworfen, bis wir geschrien haben, er soll uns runterlassen. Und er hat uns vor der schlechten Welt jenseits vom Silverlake gewarnt. Damals hab ich mir nicht vorstellen können, dass irgendjemand größer oder stärker oder klüger sein könnte als Pa.
    Aus dem Augenwinkel beobachte ich ihn. Lugh und ich reparieren gerade das Hüttendach. Die Hüttenwände sind ziemlich stabil, weil sie aus übereinander gestapelten Reifen bestehen. Aber der tückische Heißwind, der oft übern See gefegt kommt, kriecht in jede Ritze und deckt oft große Dachstücke auf einmal ab. Ständig müssen wir das verdammte Ding ausbessern.
    Deswegen sind Lugh und ich nach dem Heißwind letzte Nacht ganz früh morgens auf Beutezug unten zur alten Müllkippe gegangen. Wir haben an einer Stelle gegraben, wo wir es noch nie versucht hatten, und haben doch wirklich astreinen Abwrackerschrott aufgestöbert. Ein schön großes Stück Blech, nicht allzu rostig, und einen Kochtopf, sogar noch mit Griff dran.
    Lugh arbeitet auf dem Dach, während ich tu, was ich immer tu, nämlich die Leiter rauf- und runterklettern und ihm anreichen, was er braucht.
    Nero tut auch, was er immer tut, nämlich auf meiner Schulter hocken und ganz laut krächzen, mir genau ins Ohr, um mir zu sagen, was er denkt. Er hat zu allem eine Meinung, der gute Nero, und er ist wirklich klug. Ich glaube, wenn wir bloß die Krähensprache verstehen könnten, würden wir merken, dass er uns ein, zwei Sachen darüber erzählen kann, wie man ein Dach richtig repariert.
    Er hat bestimmt drüber nachgedacht, das möcht ich wetten. Er sieht uns ja seit fünf Jahren dabei zu. Seit ich ihn gefunden hab, wo er aus dem Nest gefallen ist – und von seiner Ma keine Spur. Pa ist nicht begeistert gewesen, dass ich ein Krähenküken anschlepp. Er hat gesagt, manche
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