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Caravan

Titel: Caravan
Autoren: dtv
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    |7| Da ist ein Feld – ein breites, nach Süden hin abfallendes Feld, das auf einem langen bewaldeten Hügel sitzt und sich träge
     zu einem heimlichen grünblättrigen Tal hinunterstreckt. Das Feld liegt im Schutz von dichten Weißdorn- und Haselnusshecken,
     die von wilden Rosen und am Abend duftendem Geißblatt durchwoben sind. Morgens steigt eine leichte Brise über den Downs auf
     und küsst die Luft mit dem frischen, salzigen Geruch des Ärmelkanals. Ja, so herrlich ist die Luft hier oben, dass man glauben
     könnte, man wäre im Paradies gelandet. Und auf dem Feld stehen zwei Wohnwagen, ein Männerwohnwagen und ein Frauenwohnwagen.
    Aber wenn das wirklich der Garten Eden wäre, müsste es einen Apfelbaum geben, denkt Jola. Nein, es ist der Garten England,
     und das Feld ist übervoll mit reifen Erdbeeren. Und statt einer Schlange haben sie den Knödel.
    Jola, eine zierliche, doch wohlgerundete Person, sitzt auf der Eingangsstufe des Frauenwohnwagens, und während sie sich die
     Zehennägel fuchsiapink lackiert, beobachtet sie, wie unten am anderen Ende des Feldes Knödels Landrover durchs Tor fährt und
     vom Beifahrersitz die Neue klettert. Jola kann beim besten Willen nicht verstehen, wieso man ihnen diese Zwei-Z ł oty-Göre schickt, wo sie doch offensichtlich noch einen Mann hier brauchen – am besten einen, |8| der eine gewisse Reife besitzt, aber noch volles Haar hat und anständige Beine und ein ausgeglichenes Gemüt – einen, der nicht
     nur schneller pflücken könnte, sondern in ihrer kleinen Gemeinschaft auch für eine entspannte sexuelle Harmonie sorgen würde,
     wohingegen diese kleine Miss nichts anderes als die Katze im Taubenschlag sein wird, weil die Kerle ab sofort nur noch um
     sie herumscharwenzeln werden, statt das zu tun, weswegen sie hier sind, nämlich Erdbeeren pflücken. Der Gedanke ist so unerfreulich,
     dass Jola sich nicht mehr auf ihren mittleren Zeh konzentrieren kann, der am Ende aussieht wie nach einer stümperhaften Amputation.
    Außerdem ist es eine Platzfrage, grübelt Jola weiter, während sie beobachtet, wie die Neue am Männerwohnwagen vorbei das Feld
     heraufkommt. Obwohl sie mehr Frauen als Männer sind, ist der Frauenwohnwagen kleiner, ein schlichter Vierbett-Caravan, wie
     man ihn sich hinten ans Auto hängt, wenn man an der Ostsee Ferien macht. Als Vorarbeiterin ist Jola eine Frau von Stellung,
     und auch wenn sie klein ist, hat sie großzügige Kurven, weshalb ihr selbstverständlich ein Einzelbett zusteht. Marta, ihre
     Nichte, hat die zweite Einzelkoje. Die zwei chinesischen Mädchen – ihre Namen kann sich Jola nie richtig merken – teilen sich
     das ausklappbare Doppelbett, das, wenn es ausgeklappt ist, den ganzen Fußboden einnimmt. Das war’s. Kein Platz für noch jemand.
     Die vier haben ihr Bestes getan, um den Wohnwagen freundlich und gemütlich zu machen. Die chinesischen Mädchen haben Bilder
     von Tierbabys und David Beckham an die Wand gehängt. Marta hat neben Beckham ein Bild der schwarzen Madonna von Tschenstochau
     gehängt. Jola, die Wert darauf legt, dass es gut riecht, hat in einem Becher einen Blumenstrauß aufgestellt, Heckenrosen,
     Lichtnelken und weißgoldenes Geißblatt, das die Luft versüßt.
    Eine besondere Annehmlichkeit des Wohnwagens ist der |9| clevere Stauraum: kompakte Einbauschränke, praktische Spinde unter der Decke und Schubladen mit hübschen Ziergriffen, in denen
     man alles Mögliche verstecken kann. Jola hat es gern ordentlich. Die vier Frauen haben ein Geschick darin entwickelt, einander
     aus dem Weg zu gehen, mit weiblichem Feingefühl gleiten sie auf dem engen Raum aneinander vorbei, ganz anders als die Männer,
     die fehlerhafte Geschöpfe sind, zur Schwerfälligkeit neigen und unnötig Platz einnehmen, auch wenn sie natürlich nichts dafür
     können und auch ihre Vorzüge haben, von denen später die Rede sein wird.
    Die Neue – da stolpert sie mir nichts, dir nichts in den Wohnwagen herein und wirft ihre Tasche mitten auf den Fußboden. Sie
     ist aus Kiew, sagt sie und guckt sich um, mit einem Lächeln im Gesicht. Irina heißt sie. Sie sieht müde und unordentlich aus
     und riecht ein bisschen nach Frittierfett. Was denkt sie sich eigentlich? Was glaubt sie, wo sie hier ihr Zeug unterbringen
     wird? Was glaubt sie, wo sie schlafen wird? Was gibt es da überhaupt zu grinsen? Das würde Jola gern mal wissen.
     
    »Irina, Kind, noch kannst du es dir anders überlegen. Du musst nicht fahren!«
    Weinend
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