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Voll das Leben (German Edition)

Voll das Leben (German Edition)

Titel: Voll das Leben (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
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Voll das Leben
    von
    Sandra Gernt
     
     
     
    „So geht es nicht weiter.“
    Jan zuckte zusammen. Er hatte nicht bemerkt, dass sein Chef neben ihm stand. Verwirrt blickte er zu Max hoch, der ihn in einer Mischung aus Mitleid und Missbilligung ansah.
    „Du bist allein diese Woche zwei Mal um mehr als eine Stunde zu spät gekommen. Du hast seit Monaten kein einziges Projekt mehr durchziehen können. Und wenn du hier bist, starrst du die meiste Zeit nur blind auf den Monitor. Es tut mir leid, aber so geht es einfach nicht weiter.“
    Jan nickte ergeben und senkte den Kopf. Damit war zu rechnen gewesen. Ihm war selbst klar, dass er seinen Job als Computerdesigner weder recht noch schlecht erfüllte.
    Mitfühlend legte Max ihm eine Hand auf die Schulter.
    „Wie sieht es denn aus zuhause?“
    „Na, wie schon?“ Jan zuckte mit den Schultern. „Dennis erstickt auf Raten, was sonst?“ Er senkte den Kopf noch tiefer, um die Tränen nicht zu zeigen. Ein Kampf, den er jeden Tag führte und regelmäßig verlor. Er wünschte so sehr, er könnte endlich abstumpfen und gar nichts mehr fühlen.
    „Vielleicht zwei Wochen, meint der Arzt. Allerhöchstens drei.“
    Dennis war sein Lebensgefährte. Ein Jahr älter als er. Seine große Liebe. Sie hatten eineinhalb unglaublich schöne Jahre miteinander verbringen dürfen, bevor das Schicksal zuschlug. Oder was auch immer dafür verantwortlich war, dass ein Sechsundzwanzigjähriger, der niemals eine Zigarette angerührt hatte, an Lungenkrebs sterben musste. Genetische Veranlagung, war die lapidare Erklärung der Fachleute gewesen.
    Vor knapp drei Jahren war es bei einem Routinecheck entdeckt worden. Seit zwei Jahren lag er als Komplettpflegefall im Bett.
    Die dritte Chemo hatte Dennis beinahe umgebracht, da seine Nieren zu versagen begannen. Kurze Zeit später stellte man fest, dass er von oben bis unten voller Metastasen war. Die ganze Zeit über hatte Jan für ihn gesorgt, neben der Arbeit. Dass es nun zu Ende ging, war unvorstellbar, obwohl er so viel Zeit gehabt hatte, sich darauf einzustellen.
    „Du bist völlig fertig. Geh nach Hause. Versuch zur Ruhe zu kommen, damit du die letzten Tage mit ihm durchstehst. Ich geb’ dir solange bezahlten Urlaub, okay?“
    Jan nickte mechanisch, schloss die Programme, fuhr den Computer herunter und stand auf.
    „Wenn was ist, ruf mich an. Tag oder Nacht, spielt alles keine Rolle. Du musst das nicht allein machen.“ Max klopfte ihm die Schulter. Jan lächelte automatisch, nickte, murmelte seinen Dank. Er wusste, dass Max dies nur aus Höflichkeit sagte. Oder Anstand. Sein Chef würde ihn zwar nicht wegschicken, sollte Jan nachts auf seiner Türschwelle stehen, begeistert wäre er allerdings auch nicht und seine Frau noch viel weniger. Max war klein, schmal und entsetzlich hyperaktiv. Er wuselte ununterbrochen umher, redete schnell und viel, sprudelte vor Ideen und Plänen. Zum Glück neigte er nicht zu Traumtänzerei, sonst wäre seine Firma längst pleite gegangen. Max schaffte es, selbst Großfirmen als Kunden zu gewinnen, für die sie Werbeaktionen und Internetauftritte planten. Mit seinem extremen Kurzhaarschnitt – er war fast schon kahl – und dem gepflegten Dreitagebart wirkte er älter als siebenundzwanzig, was vor allem in der Anfangszeit wichtig gewesen war. Jan war von Beginn an dabei gewesen, er hatte Max stets zu seinen besten Freunden gezählt … Doch obwohl Dennis ebenfalls für diese Firma gearbeitet hatte, war Max nicht ein einziges Mal vorbeigekommen oder hatte angerufen. Nicht in der Klinik, nicht bei ihnen zuhause.
    „Oh shit, warte mal … Shit! Du hattest letzte Woche Geburtstag, kann das sein? Glaub ich ja jetzt nicht, hab ich das vergessen! Mann, es tut mir leid!“ Max stand vor dem Dienstplan, wo er vermutlich Jans Sonderurlaub eintragen wollte.
    „Hm.“ Jan zuckte die Schultern, während er sich die Jacke überwarf und seine Arbeitstasche nahm, die er mittlerweile gepackt hatte. „Keinen Grund gehabt zu feiern. Nächstes Jahr vielleicht wieder.“
    Max’ Gesichtsausdruck schwankte zwischen schlechtem Gewissen und Sorge. Er hatte noch nie seinen Geburtstag vergessen, schließlich kannten sie sich auch schon lange. Jan ließ ihn allein damit, das war nicht sein Problem. Er fing verstohlene Seitenblicke von Thorsten und Kevin auf, seinen Arbeitskollegen. Sie waren Brüder, was man ihnen nicht ansah – Kevin war blond, braungebrannt und extrem sportlich, Thorsten dunkelhaarig und stämmig. Beide waren
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