Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Voll das Leben (German Edition)

Voll das Leben (German Edition)

Titel: Voll das Leben (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
Vom Netzwerk:
suchte nach einem Grund, dieses Mondgesicht nicht zu Brei zu schlagen.
    „Mach mal Pause, ja?“ Max zerrte ihn beiseite, der einzige Mensch, von dem Nick sich das gefallen ließ. „Ist `ne beschissene Situation. Ich hab gerade mit Dr. Wießen telefoniert, die können den Termin nicht verschieben. Die einzige Möglichkeit wäre, dass Kevin zur Beerdigung geht, nur er hat einen Part, den wir anderen übernehmen könnten.“
    Kevin protestierte sofort: „Vergiss es! Ich setz’ mich nicht allein zwischen eine Horde heulender Tunten, die ich allesamt nicht kenne!“
    Sie wechselten alle miteinander stumme Blicke. Dann gingen sie zurück an ihre Arbeit.
    Nick musste sich anstrengen, um die Erinnerung an Jans erschrockenen, misstrauischen Gesichtsausdruck zu verdrängen. Der Kleine war insgesamt viel zu ruhig gewesen. Ein wenig blass, ja, er war deutlich abgemagert und übernächtigt, das auch. Aber ansonsten so gefasst, beinahe heiter. Nick erinnerte sich nur zu gut an Jutta, die er während des Studiums kennen gelernt hatte. Sie hatte genauso ausgesehen, als ihr Freund mit ihr Schluss gemacht und im dritten Monat schwanger sitzen gelassen hatte. Nick hatte sie in ihrer Studentenbude gefunden, sie hatte sich mit einer Mischung aus Wodka und Schlaftabletten umgebracht. Ohne Max wäre er nicht damit fertig geworden.
    Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, sich am Donnerstag krank zu melden und zur Beerdigung zu gehen. Diese beschissene Projektbesprechung konnte nicht wichtiger als alles andere sein!
    Lediglich das Wissen, dass Jan ihn wirklich nicht dabei haben wollte hielt ihn davon ab. Jan hatte ja auch allen Grund, ihn zu hassen …
     
    ~*~
     
    Wie betäubt starrte Jan auf den schlichten Sarg, der gerade in die Tiefe gelassen worden war. Der Pfarrer murmelte irgendetwas, das vermutlich zur stark verkürzten Zeremonie gehörte. Es war ihm egal. Er stand hier ganz allein am Grab seines Liebsten. Niemals mehr würde er ihn sehen. Niemals mehr seine Stimme hören. Ihm vorlesen. Mit ihm lachen. Ihn berühren. Alles vorbei.
    Kein einziger Verwandter, Bekannter, Nachbar oder Kollege war gekommen. Auch der Pfarrer wirkte, als würde er jetzt gerne gehen wollen. Verschiedene Kränze bezeugten, dass wenigstens einige Menschen auf dieser Welt zur Kenntnis genommen hatten, dass Dennis fort war. Seine Geschwister, Hanka, irgendwelche Verwandten namens ‚Ingrid und Paul’ und seine Kollegen hatten jeweils prächtige Blumengebinde geschickt. Max hatte eine riesige Todesanzeige in die Zeitung gesetzt und einige Nachbarn hatten Beileidskarten in den Briefkasten geworfen. Das alles änderte nichts an der Tatsache, dass Jan hier und jetzt allein war. Er bedankte sich beim Pfarrer, der ihm anbot, jederzeit zu kommen, sollte Jan Hilfe brauchen.
    Nicken. Gehen. Jeder Schritt entfernte ihn weiter von Dennis’ Grab. Von dem Wunsch, sich in das Loch zu werfen und mit ihm begraben zu lassen.
    Zuhause saß er lange auf der Couch in dem Wohnzimmer, das so leer wirkte ohne das Krankenbett und dem Tisch mit den ganzen Pflegeutensilien. Kein Geruch nach Franzbranntwein, Panthenolcreme, Krankheit und billiger Dosennudelsuppe.
    Die ganzen Bücher, die er Dennis vorgelesen hatte, waren ebenfalls fort. Jan hatte sie gestern in drei Touren bei der Stadtbücherei abgegeben, der Rest war in der Altpapiertonne gelandet. Kein einziges davon wollte er jemals mehr in die Hand nehmen und sich erinnern, bei welchen Stellen Dennis gelacht oder geschimpft oder begonnen hatte, mit ihm zu diskutieren. Es war befreiend gewesen, doch jetzt fühlte es sich an, als hätte er seinen Liebsten verkauft.
    Als das Handy klingelte, brauchte Jan lange, um die Melodie von „Oh happy day“ genau diesem Gerät zuzuordnen und das Gespräch anzunehmen. Warum hatte er diesen Klingelton nicht geändert?
    Weil Dennis ihn draufgespielt hat. Dennis hat ihn geliebt.
    Er sollte das verdammte Ding auch wegwerfen.
    „Hallo?“
    „Es ist spät geworden, sorry Mann, tut mir echt leid.“ Max. Er klang nach schlechtem Gewissen. „Ist die Trauerfeier schon vorbei? Sonst würden wir jetzt noch kurz kommen.“
    Verwirrt starrte Jan auf sein Handy. Welche Trauerfeier? Die Beerdigung war schon lange vorüber, das musste Max klar sein. Wortlos drückte er das Gespräch weg und schaltete das Handy aus. Seit wann gehörten ‚Trauer’ und ‚Feier’ als ein Wort zusammen? Mit wem hätte er auch Kuchen essen und Kaffee trinken sollen?
    Er rollte sich auf der Couch zusammen und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher