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Zehntausend Fallen (German Edition)

Zehntausend Fallen (German Edition)

Titel: Zehntausend Fallen (German Edition)
Autoren: Klaus Seibel
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Inhalt
     
    Zehntausend Fallen
    Weitere Bücher
    Über den Autor
    Dank und Quellen
    Impressum
     
    ~~~~~
     
    Der Dreck flog nach allen Seiten. Mit bloßen Händen wühlte Andreas Schuster in der Erde des Ackers. Seines Ackers. Kleine Steine rissen die Haut an seinen Fingerkuppen auf. Schuster beachtete es nicht. Wie von Sinnen wühlte er weiter, aber er fand nichts. Es gab nicht das geringste Anzeichen von heranwachsender Frucht, kein Keimling. Nichts. Noch nicht einmal der ausgesäte Samen war zu finden. Er war verfault. Einfach so.
    Erschöpft stellte Schuster seine Anstrengungen ein und stand auf. Es war nicht der erste Acker, den er besuchte. Es war der letzte. Überall das gleiche Bild: nichts. Tote Erde, so weit er sehen konnte. Dabei war es Ende April und beste Wachstumszeit. Seit dem frühen Morgengrauen war Schuster unterwegs und hatte alle seine Äcker abgefahren. Sein alter Skoda stand mit laufendem Motor am Straßenrand, die Fahrertür offen. Schuster war es egal. Alles war ihm egal.
    Nein, eines war nicht egal. Aus der Brusttasche seines Hemdes zog Schuster ein Foto. Es zeigte seine Frau und seine beiden Kinder. Schuster liebte seine Familie über alles. Aber wie sollte er sie ernähren? Bei den vielen Schulden? Und ohne Ernte? Diese Frage ließ Schuster schon seit Wochen nicht mehr schlafen. Sein Gesicht war von tiefer Müdigkeit und Verzweiflung gezeichnet.
    Anfangs hatte Schuster sich nichts dabei gedacht, als auf seinen Feldern keine frischen Halme zu sehen waren. In der Landwirtschaft gab es immer zeitliche Schwankungen. Irgendwann waren erste Befürchtungen aufgekeimt, die sich bald zur Gewissheit verdichteten. Trotzdem fuhr Schuster jeden Morgen auf die Felder, damit seine Familie dachte, er würde arbeiten. Stattdessen stapfte er ziellos zwischen dem kümmerlichen Unkraut herum. Das war das Einzige, das auf seinem Boden wuchs.
    Schuster nahm das Foto und strich mit einem Finger darüber, als ob er die Gesichter streicheln wollte. Das Blut hinterließ zusammen mit dem Dreck, der an seinen Fingern klebte, dünne Streifen. Zuletzt gab er seiner Frau einen Kuss und steckte das Foto wieder in die Tasche. Zum ersten Mal seit über dreißig Jahren rollte eine Träne über seine Wange. Dann nahm Schuster das Gewehr, das er vorher auf die Erde geworfen hatte, und richtete die Mündung gegen seine Schläfe. Sein Arm war gerade lang genug, um den Abzug zu erreichen.

1
    Ellen Faber nahm den Fuß vom Gas. Direkt hinter der nächsten Bodenwelle kam das üble Schlagloch, das man bei den Ausbesserungsarbeiten nach dem letzten Winter vergessen hatte. Im Laderaum ihres Kleintransporters schepperte es leise. Kein Grund zur Sorge, die Blutproben waren gut verpackt, aber Ellen wollte nichts riskieren. Sie brauchte diesen Auftrag, auch wenn er ihr nicht gefiel. Aufträge für ihren neu gegründeten Sicherheitsdienst waren noch zu selten, als dass sie davon hätte leben können. Also fuhr Ellen alles, was Geld brachte und in ihren kleinen, kunststoffgepanzerten Citroën Berlingo passte. Für mehr als diesen »Panzerlingo« hatten ihre Ersparnisse nicht gereicht.
    Mehr wäre auch nicht nötig gewesen, dachte Ellen in einem kurzen Anflug von Sarkasmus. Niemand klaut Blutproben.
    Ellen kannte die Gegend gut. Ihre R adtouren hatten sie oft hierhergeführt, damals, als sie noch Leiterin der Abteilung für besondere Bedrohungen im lka war. Jetzt war sie hierher gezogen, vor die Tore von Berlin, dahin, wo Berliner Ausflüge machten, wenn sie die Grenzen ihrer Stadt für ein paar Stunden oder Tage hinter sich lassen wollten.
    Auf ihrer Tour fuhr Ellen zuerst die entlegensten Orte an, um die Blutproben einzusammeln, die die Tierärzte in der Frühe genommen hatten. Dann arbeitete sie sich Ort für Ort vor, um die gesammelten Proben zur Mittagszeit in einem Labor in Neuruppin abzugeben. Dort wurden sie im Lauf des Nachmittags nach den Wünschen der Ärzte untersucht, die die Ergebnisse anschließend per E -Mail bekamen.
    Aus den Lautsprechern klang die Musik ihrer Lieblings- dvd . Besonders mochte Ellen ein altes Lied, »Tequila Sunrise«. Dieses Lied zu hören, wenn man selbst der aufgehenden Sonne entgegensteuerte, war einfach schön. Am liebsten hätte Ellen dabei die Augen geschlossen. Vom Verkehr her wäre es sogar möglich gewesen. Den gab es hier nämlich nicht.
    Kurz bevor das Lied zum zweiten Mal zu Ende ging, entdeckte Ellen weit vor sich auf der Straße ein Auto. Beim Näherkommen sah sie, dass das Auto mit
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