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Zehntausend Fallen (German Edition)

Zehntausend Fallen (German Edition)

Titel: Zehntausend Fallen (German Edition)
Autoren: Klaus Seibel
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Ellen.
    »Mama, wir haben Besuch«, rief es laut.
    Eine Frau erschien in der Haustür, die Frau auf dem Foto. Sie wirkte etwas größer, als Ellen sie sich vorgestellt hatte, aber das feine Gesicht und die dunklen Haare waren genau wie auf dem Bild. Nur die Augen machten einen unbestimmt traurigen Eindruck.
    »Sind Sie Frau Schuster?«, fragte Ellen, obwohl sie die Antwort kannte.
    »Ja, was wollen Sie?« Schon diese wenigen Worte genügten Ellen, um einen osteuropäischen Akzent herauszuhören.
    Was will ich eigentlich? Sie hatte noch gar nicht darüber nachgedacht, wie sie als unbekannte Frau dieses Gespräch beginnen sollte. Wie viel weiß Frau Schuster überhaupt?
    »Hat das Krankenhaus schon angerufen? Es geht um Ihren Mann.«
    Die Frau erschrak. »Was ist mit meinem Mann?«
    »Können wir hineingehen? Ich glaube, das ist besser.«
    Die Frau schluckte. »Ja, natürlich«, sagte sie dann.
    Sie führte Ellen in eine große Küche. Auch hier war alles sauber und aufgeräumt. Blumen standen auf dem Tisch. Ellen setzte sich auf die schmale Seite einer Eckbank. Ihr war klar, dass das Krankenhaus noch nicht angerufen hatte. Die Kommunikation klappte wohl nicht so gut, wie Rux sich das vorstellte. Frau Schuster wusste nichts, was die Sache für Ellen nicht leichter machte. Im Stillen verfluchte Ellen Rux, der sich vor dieser unangenehmen Aufgabe gedrückt hatte. Jetzt musste sie tun, was eigentlich nicht ihr Job war.
    Aus reichlicher Erfahrung wusste Ellen, dass man in solchen Situationen am besten sofort mit den Tatsachen herauskam, auch wenn sie schmerzhaft waren.
    »Ich heiße Ellen Faber. Ich habe heute Morgen Ihren Mann auf einem Feld gefunden, wie er sich umbringen wollte. Jetzt liegt er im Krankenhaus.«
    Frau Schuster erstarrte mitten in der Bewegung. Vor Entsetzen brachte sie keinen Ton heraus. Dann ließ sie sich wie in Zeitlupe auf einen Stuhl sinken. Wenig später fing sie hemmungslos an zu weinen.
    Ellen ließ ihr Zeit, die Nachricht zu verarbeiten. Wahrscheinlich war die Frau davon ausgegangen, dass ihr Mann irgendwo auf einem Feld arbeitete. Und jetzt das.
    »Was ist mit meinem Mann? Wie geht es ihm?«, fragte Frau Schuster endlich.
    »Ihr Mann wird überleben. Er liegt auf der Intensivstation.«
    »Was ist passiert?«
    Ellen erzählte ihr, was sie wusste. Dabei gab sie ihr die Autoschlüssel, die sie mitgenommen hatte.
    »Ihr Mann hatte noch etwas dabei.«
    Ellen schob ihr das Foto hin.
    Die Frau betrachtete es lange. Wieder liefen ihr Tränen die Wangen herunter. »Warum wollte er das tun?«
    »Ich hatte gehofft, dass Sie mir das erzählen können.«
    »Sag Danuta zu mir. Du hast meinem Mann schließlich das Leben gerettet.«
    »Also gut, dann sag du Ellen zu mir. Danuta, was denkst du, warum dein Mann sich umbringen wollte?«
    Danuta zuckte hilflos die Schultern. »Ich weiß nicht. Wir waren eine glückliche Familie.«
    »Irgendeinen Grund muss es geben. Gab es Probleme in der letzten Zeit?«
    Ellen wusste, dass sie damit die Basis eines privaten Gesprächs verließ und fast dienstlich wurde, aber sie wollte Antworten.
    »Vielleicht die Schulden?« Danuta schien selbst nicht überzeugt von der Antwort.
    »Der Betrieb lief nicht gut?«
    »Landwirtschaft ist kompliziert geworden. Die ganzen Vorschriften. Heute ist alles so industrialisiert. Man muss jedes Jahr mehr auf einem Hektar ernten. Andreas hat gesagt, wer nicht mitmacht, kann seinen Hof verkaufen.«
    »Und Andreas hat mitgemacht?«
    »Er hat es versucht.«
    »Wie kann man denn jedes Jahr mehr auf der gleichen Fläche ernten?« Ellen verstand so gut wie gar nichts von Landwirtschaft.
    »Man muss jedes Jahr besseres Saatgut kaufen und besseren Dünger. Dann braucht man mehr Pflanzenschutzmittel. Das alles kostet Geld.«
    »Ich habe immer gedacht, die Bauern halten von jeder Ernte Saatgut zurück, das sie dann im nächsten Jahr säen.«
    Danuta schüttelte den Kopf. »Das war früher mal so, heute dürfen wir das nicht mehr.«
    »Wieso dürft ihr das nicht?«
    »Verträge.«
    Das hatte Ellen nicht gewusst. »Ich habe nicht den Eindruck, dass auf den Feldern viel wächst.«
    »Andreas hat gesät.«
    »Was?«
    Danuta zögerte. »Weizen und Kartoffeln.«
    »Warum zögerst du?«
    Danuta sagte nichts.
    »Andreas hat Weizen und Kartoffeln vom letzten Jahr zurückbehalten, um kein neues Saatgut kaufen zu müssen«, sprach Ellen ihre Vermutung aus. Das Schweigen von Danuta war Ellen Antwort genug.
    »Aber wer sollte das merken, es ist doch euer
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