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Zehntausend Fallen (German Edition)

Zehntausend Fallen (German Edition)

Titel: Zehntausend Fallen (German Edition)
Autoren: Klaus Seibel
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klare Abendluft tief ein. Man gewöhnte sich zwar an alles, aber wenn man dann an die frische Luft kam, merkte man doch sehr, was man verpasst hatte. Zu Ellens Überraschung kam Alfred kurz hinter ihr aus dem Lokal. Er ging dicht an Ellen vorbei.
    »Wenn du ein kluges Mädchen bist, hilft dir das hier weiter. Wenn nicht, ist eh alles egal«, raunte er ihr im Vorübergehen zu. Dabei drückte er ihr einen Zettel in die Hand.
    Ellen ging zu ihrem Wagen. Erst als sie darinnen saß, faltete sie das Papier auseinander. Auf dem Blatt stand eine Telefonnummer. Keine Privatnummer, sondern die kostenlose Nummer einer Hotline. Ellen rief sofort an, äußerst gespannt, was für Informationen dort auf sie warten würden.
    Eine angenehme Stimme meldete sich mit einer Bandansage: »Guten Tag, Sie haben die kostenlose Hotline der Firma Saatogo gewählt. Sie können uns mit Ihren Hinweisen unterstützen, um Missbrauch unseres geschützten Saatguts aufzudecken. Dadurch leisten Sie einen wertvollen Beitrag, damit wir Ihnen noch bessere Produkte anbieten können, und Sie schützen unsere ehrlichen und vertragstreuen Kunden. Sie können Ihre Hinweise anonym geben, aber für Rückfragen ist es nützlich, wenn Sie eine Adresse oder Telefonnummer hinterlassen. Wir weisen Sie darauf hin, dass es sicherer ist, von einem Festnetzanschluss anzurufen, da Handys leichter abgehört werden können. Bitte sprechen Sie nach dem Piepton.«
    Ellen konnte kaum glauben, was sie da gerade hörte. Sie rief sofort wieder an, um die Ansage ein zweites Mal ablaufen zu lassen, dabei aktivierte sie die Aufnahmefunktion ihres Handys. Der Hinweis am Schluss, dass Handys leichter abgehört werden konnten, weckte unangenehme Erinnerungen, aber da war es um einen Erpresser gegangen. Das war etwas anderes. Aber was sollte das hier? In einer Hotline für Landwirte?
    Bei der Vorstellung, was diese wohl modulierte Stimme wirklich wollte, lief es Ellen kalt den Rücken herunter. Das Ganze war nichts anderes als ein offener Aufruf zur Denunziation. Man konnte anonym anrufen und seinen Nachbarn anschwärzen. Der wusste nichts davon und konnte sich nicht wehren. Was war das für eine F irma, die so etwas provozierte?

4
    Ellen parkte ihren Kleintransporter auf ihrem persönlichen Platz in einem Parkhaus. In der Neuruppiner Altstadt und besonders in der Nähe von Ellens Wohnung waren öffentliche Parkplätze eine Rarität, und wenn sie nicht jeden Tag lange suchen und noch länger laufen wollte, musste sie dieses Geld investieren. Das war der Preis für die besondere Wohnlage. Von einer Seite ihrer Wohnung konnte Ellen die beiden Türme der alten Klosterkirche sehen, und auf der anderen Seite hatte sie einen Blick auf die Anlegestellen der Segelboote im Hafen mit dem See dahinter. In dieser Richtung hatte Ellen sogar einen kleinen Balkon.
    Verglichen mit ihrer vorigen Wohnung unter dem Dach eines relativ verwahrlosten Hauses in Berlin war das hier der reinste Luxus. Das galt allerdings nicht für die Größe. Ellens Schwester witzelte immer über Ellens Nähkästchen, wenn sie zu Besuch war. Diese Hänseleien störten Ellen nicht. Sie brauchte keine größere Wohnung, denn sie lebte allein. Trotz mancher Anläufe hatte sie die Kurve zu einer Beziehung nie gekriegt. Die wechselnden Arbeitszeiten im Polizeidienst machten Zeitplanung schwierig – und für jemanden in verantwortlicher Position nahezu unmöglich. Dazu kam das Schweigen. Mitglieder des sek , der Sondereinsatzkommandos, durften über ihre Einsätze nicht reden. Die Leiterin erst recht nicht, aber vielleicht wurde ja jetzt alles besser.
    Normalerweise ging Ellen früh zu Bett, weil sie zeitig aufstehen musste, aber der heutige Tag war nicht normal gewesen. Ellen wusste genau, dass sie keine Minute schlafen würde, wenn sie sich jetzt hinlegte. Also goss sie sich ein Glas Rotwein ein und setzte sich vor ihren Laptop. Es dauerte eine Weile, bis er hochgefahren war. Früher hatte sie ihn immer im Stand-by-Modus laufen lassen, bis man ihn ohne ihr Wissen manipuliert hatte. Jetzt lief er nur noch, wenn sie davor saß. Sie benutzte ein langes Passwort, das sie häufig wechselte, und der Laptop war gespickt voll mit Antiviren-Software und dem Schutz vor Trojanern. Über der stecknadelkopfgroßen Kamera, die standardmäßig am Rahmen oberhalb des Monitors eingebaut war, klebte ein Pflaster. Jedes Mal, wenn sie dieses Pflaster sah – und das war täglich –, tauchten vor ihr die Bilder auf, die ein Erpresser heimlich von
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