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Zehntausend Fallen (German Edition)

Zehntausend Fallen (German Edition)

Titel: Zehntausend Fallen (German Edition)
Autoren: Klaus Seibel
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Hof?«
    »Dann kommen die Männer«, war alles, was Danuta dazu sagte. Die Trauer wich einem Gesichtsausdruck voller Angst.
    »Was für Männer?«, bohrte Ellen nach.
    »Männer eben.« Danuta holte tief Luft. »Ich glaube, du musst jetzt gehen. Danke, dass du meinen Mann gerettet hast.«
    Danuta stand auf, und Ellen wusste, dass das Gespräch hiermit zu Ende war. Irgendjemand hatte Danuta eingeschüchtert, das war mit Händen zu greifen. Und dieser Jemand war mit schuld an Andreas Selbstmordversuch.
    Als Ellen das Haus verließ, rief Danuta die Kinder herein. Ellen wartete, bis die beiden im Haus verschwunden waren, dann lief sie zur Scheune hinüber. Durch die Glasbausteine konnte sie nichts erkennen, aber die Tür war nicht verschlossen, wie meistens auf den Bauernhöfen. Ellen schlüpfte hinein. Niemand hatte sie bemerkt. Was sie sah, ließ sie erstaunt stehen bleiben. Sie sah – nichts!
    Inzwischen kannte Ellen viele Scheunen. Scheunen waren immer voll mit unzähligen Gerätschaften, Resten von Vorräten, irgendwelchem alten Zeug und überall Spinnweben. Hier gab es nichts von alledem. Der gesamte Raum war leer, und andere Räume gab es in dieser Scheune nicht. Und sie war nicht nur leer, sie war geputzt, sodass kein Krümel auf dem Boden lag. Ellen ging unschlüssig einmal durch die Scheune. Sauber, viel zu sauber. Sie musste unwillkürlich an einen Tatort denken, den ein Täter sorgfältig gereinigt hatte.
    Ein Täter will Spuren verwischen. Welche Spuren sollen hier ausgelöscht werden? Was haben die Männer damit zu tun, die Danuta erwähnt hat? Und dann war da die Frage, die noch viel eigenartiger war: Warum wächst nichts, wo Andreas doch gesät hat?
    Mit einem sehr unguten Gefühl verließ Ellen die Scheune. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Danuta sie durch das Küchenfenster beobachtete

3
    Der Besuch bei Danuta bestätigte Ellens Eindruck, dass der Selbstmordversuch von Andreas noch lange nicht erklärt war. Jede Antwort, die sie erhielt, ergab neue Fragen. Ellen sah auf ihre Uhr. Der Feierabend rückte näher. Nicht ihrer, denn sie hatte bereits seit dem Mittag nichts mehr zu tun, aber der Feierabend der Bauern ringsum.
    Ellen hielt vor einem Haus, das sich von der Bauweise her nicht von den anderen im Dorf unterschied. Einzig der altmodische Schriftzug »Wirtshaus« und der Aushang der Speisekarte wiesen auf den speziellen Zweck des Gebäudes hin. Die Speisekarte war von der Sonne ausgebleicht. Die Speisen konnte man kaum noch und die Preise gar nicht mehr lesen. Wer hier einkehrte, wusste, was ihn erwartete und was er dafür bezahlen musste. Neue Speisen und Getränke waren hier nicht gefragt, aber es war genau der Ort, von dem Ellen sich brandneue Informationen erhoffte. Auf den Dörfern kannte jeder jeden, und wenn etwas passierte – was nicht so oft vorkam –, dann wusste es auch jeder.
    Ellen öffnete die Tür, und eine typische Duftwolke strömte ihr entgegen. Es roch nach Männern, die den ganzen Tag körperlich gearbeitet hatten. Und nach Alkohol, vorwiegend Bier. In diesem Moment bedauerte Ellen das Rauchverbot. Der Zigarettenqualm hatte früher manche anderen Gerüche gnädig überdeckt, jetzt war man ihnen gnadenlos ausgesetzt. Ellen trat in den einzigen großen Schankraum und sondierte in wenigen Sekunden die Lage. Es saßen tatsächlich nur Männer hier, verteilt auf mehrere Tische und den Tresen. Die einzige weibliche Person war die Bedienung, die sich bemühte, mit viel Schminke jünger auszusehen, als sie tatsächlich war. Es gelang ihr nicht.
    Die Gespräche verstummten augenblicklich. Jemand Fremdes kam herein. Das war ein Ereignis. Dass sich dieser Fremde als weiblich herausstellte, war ein noch größeres Ereignis und teilte die Männer in zwei Gruppen. Die einen, die Minderheit, betrachteten eine Frau an diesem Ort als störend. Die Mehrheit war positiv überrascht. Dabei war Ellen weder eine auffällige Erscheinung noch besonders angezogen. Sie war zu ihrem großen Leidwesen klein, gerade mal die Mindestgröße für den Polizeidienst hatte sie erreicht. Ihre Kleidung bestand meistens und auch heute aus Jeans und Shirt. Ihre blonden Haare hatte sie mit einer schlichten Klammer zusammengefasst. Also nichts, was ins Auge stach. Das einzig Herausragende an diesem Ort war ihr Geschlecht. Ellen ließ sich von der Situation nicht irritieren, sie hatte mit nichts anderem gerechnet. Es erinnerte sie an ihre Zeit beim sek der Berliner Polizei. Dort war sie zeitweise auch die einzige
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