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Zorngebete

Zorngebete

Titel: Zorngebete
Autoren: Sabine Heymann
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Tafafilt ist der Tod, und doch bin ich dort geboren. Ich heiße Jbara. Anscheinend bin ich sehr schön, aber ich weiß es nicht. Es bringt mir auch gar nichts, schön zu sein. Ich bin arm, und ich wohne am Arsch der Welt. Mit meinem Vater, meiner Mutter, meinen vier Brüdern und meinen drei Schwestern.
    Es wird gevögelt, was das Zeug hält bei den Armen, weil das gratis ist.
    Jedenfalls hat mir nie jemand gesagt, dass ich schön bin. Solche Sachen sagt man nicht bei uns. Schönheit hat keinen Wert in Tafafilt, sie lohnt sich nicht. Zumal man gar nicht weiß, was schön ist und was nicht. Mein Vater wäre nicht imstande, Ihnen zu sagen, ob ich schön bin, meine Mutter auch nicht. Sie würden höchstens sagen: »Jbara ist ein fleißiges Mädchen!« Schönheit gibt es nur in der Sprache der Reichen. Über mich wird man, einstweilen, sagen, ich sei fleißig. Man ist nicht sehr gebildet in meinem Kaff. Ohnehin hat man mich nie erzogen, nur herumgeschubst, angeschnauzt und mir Sachen verboten. Im Verbieten waren sie immer gut. Bei uns ist alles
haram
. Selbst ich bin
haram
, aber auch das weiß ich nicht.
    Er dringt in mich ein, und ich denke nur an meinen Raïbi Jamila, einen köstlichen Granatapfeljoghurt, den man von unten trinkt, durch ein kleines Loch, das man in den Becher bohrt. Ich habe den Verdacht, dass das, was ich tue,
haram
ist. Immerhin verstecken wir uns. Da es aber in Tafafilt nichts gibt, rede ich mir ein, dass Allah mich nicht sieht … mit ein bisschen Glück … dass Er nicht da ist, obwohl Er bekanntlich überall ist. Ich könnte es Ihm nicht übelnehmen, wenn Er woanders hinsieht. Wenn es ginge, würde ich das auch tun.
    Er stinkt, weil ich aber auch stinke, hebt sich das am Ende auf, wir riechen also beide gut. Ich betrachte den Joghurt, die Packung Schokoladenkekse und die Kaugummis in der Plastiktüte. Er grunzt wie ein Schwein. Er sieht wirklich aus wie ein Idiot. Zum Glück ist er hinter mir, deshalb sehe ich ihn nicht. Nur einmal habe ich mich umgedreht, da hat er ein Gesicht gemacht, zum Totlachen. Ich habe einen Lachkrampf bekommen, aber das hat ihm nichts ausgemacht, er hat mich weiter gevögelt wie ein Kamel, mit schwitzenden Eiern.
    Jedes Mal, wenn er fertig ist, ist da so etwas wie saure Milch, das an meinen Schenkeln herunterläuft. Später trocknet es in meinen Schamhaaren, das ist unangenehm. Ich bin 16 Jahre alt und weiß nicht, dass man Sperma sagt. Ich habe meine eigenen Wörter. Bei uns ist man arm, und saure Milch, das kennt man. Aber das ist mir egal. Ich habe meinen Raïbi Jamila. Für mich das Maximum an Genuss. Der ist rosa, der ist gezuckert. Der bringt mich augenblicklich zum Lächeln. Er dagegen heißt Miloud, er ist braun, er ist bitter, er ekelt mich an. Einmal, als ich ihm einen geblasen habe, bin ich mit der Nase in die Falte seiner Eier geraten und fast hätte ich gekotzt. Ich glaube, ich hätte lieber Kacke gegessen. Danach zieht er, wie jedes Mal, seinen braun gestreiften Slip und seine durchlöcherte Hose wieder hoch und bricht auf ins ferne Nichts. Ich ziehe meine Unterhose wieder an, ein ziemlich ausgeleiertes Stück Baumwolle mit einer kleinen weißlichen Kruste auf der Höhe des Geschlechts.
    Sie brauchen gar nicht »bäh!« zu sagen. Ich werde keine Poesie hineinlegen, wo keine ist. Ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich arm bin. Das Elend stinkt nach Arsch. Und Milouds Arsch hat nie Wasser gesehen. Er wischt ihn mit Steinen ab und trocknet ihn mit Sand. Er ist Hirte, er wohnt fünfzig Kilometer entfernt in einem Kaff. Ab und zu kommt er vorbei, macht Geschäfte mit genau solchen Kerlen, wie er einer ist. Und dann lässt er es sich mit mir gutgehen.
    Irgendwann hat mir meine Mutter, die Arme, gesagt, die größte Sünde im Leben sei es, keine Jungfrau mehr zu sein. Das hatte schon ihr Vater gesagt. Und ihr Mann hat es bestätigt. Ich hätte alles daran gesetzt, um meine Mutter nicht zu enttäuschen, aber der Raïbi Jamila hat stets alle guten Vorsätze weggefegt. Ich glaube, er hätte sogar gegen Allah den Sieg davongetragen. Ich will Allah nicht mit einem Raïbi vergleichen, das hätte keinen Sinn, ich sage nur, dass der Raïbi einen guten zuckersüßen Geschmack hat und dass Allah bei mir bis jetzt einen bitter-süßen Geschmack hinterlässt …
    Weil man Ihn ständig fürchten muss. Sobald mein Vater mit mir über Ihn spricht, tut er das einzig und allein, um mir zu sagen, dass Er mich züchtigen werde, wenn ich weiter Dummheiten mache. Einmal habe ich in seiner
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