Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Voll das Leben (German Edition)

Voll das Leben (German Edition)

Titel: Voll das Leben (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
Vom Netzwerk:
war logisch und konsequent.
    „Wenn irgendwas ist, kannst du immer kommen. Egal was.“
    „Okay“, sagte Jan. Er war selbst erstaunt, wie erleichtert er sich fühlte. Die Arbeit hatte ihn belastet. Die Blicke der anderen, die nicht wussten, wie sie ihn behandeln sollten und ihm deshalb so gut es möglich war aus dem Weg gingen. Gut, dass das jetzt vorbei war.
    Er holte sich einen Karton aus dem Lagerraum und warf die wenigen persönlichen Sachen hinein. Es war viel weniger als gedacht, aber er wollte keinen kleineren Karton holen. Sein ganzes Leben fühlte sich mittlerweile wie ein zu großer Karton mit zu wenig Inhalt an.
    „Tschüss“, sagte er, schüttelte Max’ Hand und winkte Kevin und Thorsten im Vorbeigehen zu. Die starrten beide zu Boden, während sie „mach’s gut“ und „tschööö“ murmelten.
    An Nicks Schreibtisch blieb er kurz stehen.
    „Schwuchtelfreie Zone“, sagte Jan bissig. „Das Leben hat wieder einen Sinn.“
    Nick stand auf und kam auf ihn zu. Jan überlegte nicht lange. Er hatte weder auf einen körperlichen noch auf einen verbalen Schlagabtausch Lust. Bevor Nick seinen Schreibtisch umrundet hatte, war Jan bereits zur Tür hinaus. Er freute sich auf Zuhause. Er war so müde …
     
    ~*~
     
    Frierend klappte Nick den Kragen seiner Jeansjacke hoch. Sie war viel zu dünn für dieses nasskalte Wetter. Wer hätte auch ahnen können, dass ausgerechnet die Hauptstrecke des U-Bahn-Systems ausfallen würde! Die Ursache würde er erst morgen aus der Zeitung erfahren. Im Moment war es Nick gleichgültig, er war müde, durchgefroren und wollte nur noch nach Hause. Er hatte mit dem Bus fahren müssen, was doppelt so lang gedauert hatte. Zudem musste er ein gutes Stück von der Haltestelle aus laufen, bis er sich endlich mit einer heißen Dusche und einer Fertigpizza auftauen konnte. Eigentlich hatte Nick für heute geplant, Bami Goreng zu kochen – beziehungsweise semi-kochen, wie er es nannte, wenn er Tütenzeug zu Hilfe nahm, um Nudeln und Co. einen anderen Geschmack zu verleihen. So viel Energie wollte er nach diesem frustrierenden Tag nicht mehr verschwenden. Eigentlich hatte er Max versprochen, einige Zeichnungen und Bildbearbeitungen abzuschließen. Extrem wichtig waren die jetzt nicht.
    Vielleicht gönne ich mir einfach irgendeinen Blödsinn im Fernsehen, dachte er. Oder er könnte den Krimi fertig lesen, der seit einigen Wochen auf seinem Nachttisch einstaubte.
    In diesem Moment bemerkte er die zusammengekauerte Gestalt auf dem Brückenpfeiler. War das ein Teenie, der auf seinen Kumpel wartete? Wer sonst würde sich bei diesem ekligen Wetter da oben hinsetzen, dem Wind noch stärker ausgesetzt, den Fluss rund zwanzig Meter unter den Füßen? Jugendliche hatten ja meistens kein Temperaturempfinden und kamen auf die seltsamsten Ideen …
    Irgendetwas an der Haltung des Mannes – zumindest war Nick sich einigermaßen sicher, dass es ein Mann sein musste – machte ihn nervös. Ein Teenager, der auf cool machte, würde entspannter aussehen. So wie der Mann Kopf und Schultern hängen ließ, wirkte er kraftlos, nicht entspannt. Womöglich auch verzweifelt? Ein Selbstmörder?
    Nicks Hände zuckten zum Handy. Er wollte die Feuerwehr rufen und dann rasch weiter zu seiner Dusche und Pizza. Aber was, wenn der Mann sprang, bevor der Rettungswagen hier war? Er durfte nicht einfach weiterlaufen, als würde ihn das alles nichts angehen! Und was, wenn es gar kein Selbstmörder war? Dann hätte er die Einsatzkräfte umsonst hergescheucht, die anderswo womöglich dringend gebraucht wurden.
    Nick seufzte. Sinnlos, sich hier wahnsinnig zu machen.
    Langsam ging er auf den Pfeiler zu.
    „Hallo?“, fragte er mit rauer Stimme. Ihm war gar nicht wohl zumute. Hoffentlich sprang der Kerl jetzt nicht vor Schreck in die Tiefe!
    Doch die Gestalt rührte sich nicht. Nick betrachtete ihn von hinten: Kurzes hellbraunes Haar, schwarze Jacke, schwarzer Rucksack, abgewetzte blaue Jeans, helle Sneaker. Ein schlanker junger Mann, der mit herabbaumelnden Beinen dasaß, den Kopf tief gesenkt. Etwas an ihm wirkte grauenhaft vertraut … Nick runzelte die Stirn und trat einen weiteren Schritt näher. Der Mann hielt eine volle Schnapsflasche in den blau gefrorenen Händen. Er hatte verblüffende Ähnlichkeit mit …
    „Jan?“ Nick erstarrte innerlich. „Jan?“, presste er erstickt hervor. „Oh mein Gott, Jan!“
    Wie in Trance wandte Jan ihm das bleiche, ausgezehrt wirkende Gesicht zu. Tiefe Schatten lagen unter den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher