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Die Gilde der Diebe

Titel: Die Gilde der Diebe
Autoren: Tom Becker
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Prolog
    August in einer Stadt, die nach Luft rang. Die Hitze hatte ihre dicken, verschwitzten Finger um London gelegt und drückte erbarmungslos zu. Verstopfte Straßen flehten verzweifelt um eine kühle Brise. Gefangen in stickigen Büros und U-Bahnen schmorten die Londoner in ihrem eigenen Saft. Diejenigen, die nicht in der Lage waren, die Stadt zu verlassen, flüchteten sich in die Parkanlagen und Stadtgärten, in den Schatten der Bäume und Sonnenschirme, aber auch dort quälte sie die Hitze. Unten am Flussufer plätscherte die Themse träge gegen die Böschung.
    Tief im Inneren eines Polizeireviers im Westen Londons lockerte Inspektor Charlie Wilson seinen Kragen und musterte den vor ihm sitzenden Verdächtigen mit wachsender Ungläubigkeit. Für ein kriminelles Superhirn war dies sicherlich eine äußerst ungewöhnliche Gestalt. Er war in irgendeinen Kampf verwickelt gewesen und hatte eine hässliche Beule am Hinterkopf. Seine Augen blickten wild, und er trommelte ungeduldig mit den Fingern, als käme er zu spät zu einer wichtigen Verabredung. Seit er mit Handschellen an ein Krankenhausbett gefesselt aufgewacht war, hatte er lediglichseinen Namen genannt. Das war an sich nichts Ungewöhnliches, abgesehen von der Tatsache, dass der Verdächtige höchstens fünfzehn oder sechzehn Jahre alt war.
    Wilson wusste nicht, was er von ihm halten sollte. Mit seinen gerade mal vierundzwanzig Jahren war er selbst kaum älter als sein Gegenüber. Er war erst seit einem Jahr im Polizeidienst, und man hatte ihn während seiner Ausbildung nicht auf solch eine Situation vorbereitet. Wilson kratzte sich in seiner schweißnassen Armbeuge und unternahm einen neuen Versuch.
    »Sieh mal, Kevin, das führt doch zu nichts. Meinetwegen können wir hier den ganzen Tag lang sitzen bleiben, und morgen auch noch, wenn du willst.«
    Er hielt inne, in der Hoffnung auf eine Antwort. Das Tonband summte leise vor sich hin.
    »Hier geht es nicht um einen Ladendiebstahl. Das hier ist sehr viel schlimmer .«
    Kevin zuckte mit den Schultern und starrte auf den Boden. Wilson hatte es schon öfter mit jungen Kerlen zu tun gehabt, die sich stur stellten, aber bei diesem hier war es irgendwie anders. Er wirkte so abwesend und teilnahmslos, dass man fast meinen konnte, er sei sich seiner Lage nicht bewusst.
    Dies würde ein langer Tag werden. Wilsons Mund war trocken und er hatte seinen Wasserkrug bereits ausgetrunken. Der Junge hatte nicht nach Wasser verlangt, und Wilson fürchtete, sich eine Blöße zu geben, wenn er hinausging, um sich noch welches zu holen. Wenn es nur nicht so verdammt heiß wäre!
    Er wollte gerade einen energischeren Vorstoß wagen, als die Tür zum Vernehmungsraum B sich knarrend öffnete und die zerknautschte Gestalt von Kommissar Carmichael sich durch den Spalt schob. Wilsons Augen weiteten sich vor Erstaunen. Trotz seiner kleinen, gedrungenen Erscheinung und seiner billigen Anzüge war der Kommissar bei der Polizei eine lebende Legende. Er schlich stets wie ein Landstreicher durch die Flure des Polizeireviers und sprach kaum mit seinen Kollegen. Trotzdem löste diese unscheinbare Gestalt zur Verwunderung der anderen Polizisten immer wieder die kompliziertesten Fälle. Er hätte eigentlich schon längst befördert werden müssen, aber er hatte irgendetwas an sich, das seine Kollegen beunruhigte. Alle waren erleichtert, dass er offensichtlich mit dem Rang eines Kommissars zufrieden war – wenngleich eines Kommissars, der sich seine Fälle aussuchen konnte. An diesem Tag hatte er sich Wilsons Fall ausgesucht.
    Kommissar Carmichaels Blick schweifte durch den Raum, dann ließ er sich auf einen Stuhl fallen. Er rieb sich ein Auge und nickte in Wilsons Richtung.
    »Guten Morgen, Inspektor«, sagte er höflich. »Dachte mir, Sie könnten vielleicht etwas Hilfe in diesem Fall gebrauchen. Erzählen Sie doch mal, worum es geht.«
    Wilson blätterte in seinen Notizen und antwortete mit trockenem Mund: »In Ordnung … selbstverständlich, Sir. Nun, heute wurde in den frühen Morgenstunden eine bewaffnete Polizeieinheit zu einer Adresse in Kensington gerufen. Es ging um eine Schießerei und ein brennendes Fahrzeug. Nachdem sich die PolizistenZutritt zu dem Haus verschafft hatten, fanden sie Einbruchspuren und Blutflecken, die auf eine gewalttätige Auseinandersetzung hinwiesen. Der Besitzer des Anwesens war nicht aufzufinden. Die einzige Person, die sie auf dem Gelände antrafen, war der Verdächtige hier, der bewusstlos auf dem Boden
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