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Flug ins Feuer

Flug ins Feuer

Titel: Flug ins Feuer
Autoren: Shalvis Jill
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Prolog
    Merkwürdigerweise beruhigte ausgerechnet das wütende Tosen der Brandung gegen die Felsen entlang der Küste seine Seele. In dem schwächer werdenden Tageslicht segelten Möwen durch die Luft und tauchten immer mal wieder hervor aus den wabernden Nebelschwaden, die den Pazifischen Ozean küssten.
    Mit zusammengekniffenen Augen erschien ihm der Nebel wie Rauch, und wenn er den Kopf schief legte und lauschte, schienen die Schreie der Möwen Qual und Fassungslosigkeit auszudrücken.
    Also kniff Griffin Moore die Augen nicht zusammen und lauschte nicht. Er saß nur einfach auf einem Felsen, die Arme auf die Beine gestützt, und beobachtete, wie die Sonne langsam am Horizont unterging. Hinter ihm zeichneten sich die Hügel von San Diego gegen einen dunkler werdenden Abendhimmel ab. Zu seiner Rechten flackerten die Scheinwerfer der Pendler, die auf der 5 South nach Hause zu ihren Familien und Freunden fuhren. Zu ihren Lieben.
    Griffin wartete darauf, dass ihn der Schmerz darüber überkam. Schließlich hätte vor nicht allzu langer Zeit an einer völlig anderen Küste eins dieser Autos seines und er auf dem Weg nach Hause zu seinem gewohnten Leben sein können. Und er hatte ein großartiges Leben gehabt. Eine wundervolle Familie, lebenslange Freunde …

    Ah, da setzte das vertraute schmerzhafte Ziehen ein. Ja, er hatte das alles gehabt. Interessant, dass ihn bei diesem Gedanken nicht wie üblich stechender Schmerz überfiel. Er harkte mit den Fingern durch den Sand neben sich, als er darüber nachgrübelte …
    »Süd-Kalifornien statt Süd-Carolina«, sagte jemand gedehnt. »Wer hätte das gedacht?«
    Die unerträglich vertraute Stimme fuhr ihm direkt ins Herz, als neben ihm ein Paar abgewetzte Tennisschuhe auftauchten, die er überall erkannt hätte. Griffin blickte weiterhin starr auf die donnernde Brandung, und ihm wurde klar, warum er so wenig Schmerz verspürte – er war abgestumpft. Glücklicherweise abgestumpft. »Ich habe dich gebeten, nicht zu kommen.«
    »Ja.« Sein jüngerer Bruder buddelte mit dem Fuß einen Stein aus dem Sand, bückte sich und hob ihn auf. Er studierte ihn und sagte dann: »Aber wann habe ich je getan, worum du mich gebeten hast?«
    »Brody …«
    »Vergiss es.« Die Wut, mit der Brody den Stein in die tosende Brandung schleuderte, konnte sich durchaus mit der des Meeres messen. Dann hockte er sich neben Griffin und sagte mit sanfterer Stimme, und nur seine Augen reflektierten noch die heftigen Gefühle, die beide umtrieben: »Du bist mein Bruder, Griffin. Ich vermisse dich. Ich …«
    »Sag ja nicht, dass du dir Sorgen um mich machst.«
    »Ich mache mir Sorgen um dich …«
    »Verdammt.« Griffin sprang hoch, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und wandte sich ab, damit er die Besorgnis in den Augen des anderen nicht sehen musste.
    Aber selbst mit dem Rücken zu dem einzigen Menschen, der es nach all der Zeit geschafft hatte, ihn aufzuspüren,
verflüchtigte sich die willkommene Abgestumpftheit, die er über viele Monate mühsam erworben hatte, schneller als die salzige Gischt im Wind. »Hau ab.«
    »Geht nicht.«
    All das, was in Brodys Stimme lag, konnte man nicht überhören: Angst, Sorge, Bedürftigkeit.
    Sein Pech. Mit achtundzwanzig und zweiunddreißig Jahren waren sie erwachsene Männer. Alt genug, um jeweils ein eigenes Leben zu führen.
    Aber das war nicht ganz fair, und Griffin wusste das. Sie hatten sich so nahegestanden, wie Brüder sich nur nahestehen konnten. Nahe genug, um in derselben Stadt zu leben und dieselben Freunde zu haben. Nahe genug, dass Griffin sich jahrelang über Brodys Antriebsschwäche, seinen Mangel an Ehrgeiz Sorgen gemacht hatte.
    Die Tatsache, dass das schwarze Schaf der Familie sich nun um den Stolz der Familie sorgte, entging ihm nicht; es war ihm nur gleichgültig. »Ich möchte in Ruhe gelassen werden«, sagte er schließlich.
    »Ja, ich glaube, das habe ich geschnallt. Aber ich habe einen Job für dich.«
    Griffin starrte den Mann an, der ihm so ähnlich sah. Das gleiche mit blonden Strähnen durchsetzte braune Haar. Die gleichen blauen Augen. Der gleiche hoch aufgeschossene, schlanke Körperbau. Er stieß ein raues Lachen aus. »Ein Job. Das ist echt komisch.«
    »Tatsächlich? Wieso?«
    »Na ja, es sei denn, dass du dich unglaublich verändert hättest im vergangenen Jahr…« Griffin schnappte sich ebenfalls einen Stein und schleuderte ihn ins Meer. »Also, wenn du auch nur das Wort Job hörst, bekommst du doch schon Ausschlag, war es
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