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SchattenGrab

SchattenGrab

Titel: SchattenGrab
Autoren: Nané Lénard
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Prolog
    Es war noch früh, als sich der alte Hinnerk aufmachte, um am Strand in Neuharlingersiel nach Pfandflaschen zu suchen, die niemand zurückgebracht hatte. Auf diese Weise besserte er sein monatliches Einkommen etwas auf. Die Saison begann jetzt erst. Am Wasser war es noch kühl, auch wenn die Luft nun bereits nach Frühling roch und die Tage länger waren.
    Das Wasser begann schon wieder abzulaufen, stellte Hinnerk fest, als er einen Blick in den Hafen warf. Die letzten Fischerboote nahmen Kurs auf ihren Liegeplatz. Hinnerk nickte Olaf und Fiete zu. Die kannten ihn noch aus der Zeit, als er selbst frühmorgens vom Meer zurückkam. Mit Leib und Seele war Hinnerk Fischer gewesen, bis zu jenem unglückseligen Tag. Er kannte die See mit ihren Untiefen und Strömungen wie seine Westentasche, wusste, wo gute Fischgründe waren. Aber das interessierte heute niemanden mehr. Sie lächelten, klopften ihm auf die Schultern und schenkten ihm manchmal einen Fisch, wenn er vorbeikam. Falls er einen guten Moment erwischte und sie Langeweile hatten, sprachen sie sogar mit ihm und hörten ihm zu. Er erzählte gerne von früher, hatte jedoch den Eindruck, dass sie im Grunde über den alten Seebären schmunzelten, wenn er davonhinkte mit dem einen kürzeren Bein, das ihm das Leben nach seinem Unfall schwer gemacht hatte.
    Von der Grundsicherung war er in eine magere Rente gerutscht. Ohne Wohngeld hätte er sich nicht einmal das möblierte Zimmer bei Gundula unter dem Dach leisten können. Die wenigstens kochtegelegentlich für ihn mit, weswegen er ihr meistens den Fisch gab, den er am Hafen geschenkt bekam.
    Hinnerks Streifzug um die Strandkörbe war heute wenig erfolgreich. Nur fünf Pfandflaschen hatte er in seiner Tüte. Er entschied sich, auf dem gepflasterten Strandweg zurückzugehen und ein Auge auf die schon wieder trocken liegenden Stellen zu werfen, wo das Meer sich bereits zurückgezogen hatte. Da hatte er manch interessantes Strandgut gefunden, so früh am Morgen, wenn noch kaum jemand auf den Beinen war. Langsam humpelte er auf den Deich an der Fahrrinne zu, der in einem rechten Winkel zum Strandweg lag. Hier sammelte sich so einiges, was das Meer mitgebracht hatte.
    Mit seinem Stock stocherte Hinnerk durch die Algen und Muscheln und steckte eine kleine Plastikpfandflasche in seine Tasche. Weiter hinten fand er eine Armbanduhr mit rosa Band, deren Glas beschlagen war und ein Handy ohne Akku in einem Haufen von Müll und Tang. Beides steckte er ein. Mal sehen, ob damit noch etwas anzufangen war, dachte er und suchte weiter.
    Außer ein paar Scherben, rostigen Nägeln und einer korrodierten Batterie bot ihm dieser Morgen nichts mehr, was er gebrauchen konnte. Er wollte die Suche eben beenden, da stieß sein Stock an etwas feingliedriges Bleiches. Hinnerk zuckte zusammen. Es gab keinen Zweifel, das waren Knochen. Entweder eine Hand oder ein Fuß, eher ein Fuß, dachte er, weil die Knochen länglich waren. Fieberhaft überlegte er. Sollte er sie einstecken und einfach verschwinden lassen? Er hatte keine Lust auf die Polizei und das ganze Tamtam. Die würden nur unangenehme Fragen stellen. Dabei hatte er doch mit nichts etwas zu tun. Es würde seine Zeitkosten. Grübelnd hinkte er zehn Meter im Sand hin und her, mehrere Male und konnte sich nicht entscheiden. Dann sah er sich die Knochen noch einmal an und stellte seinen Fuß daneben. Der war fast doppelt so lang, selbst seine Hand sah dagegen groß aus. Ihm wurde heiß und kalt. Hinnerk seufzte. Er schwitzte an diesem kühlen Morgen. Das konnte doch niemand gebrauchen. Und alles nur wegen der paar Flaschen. Was sollte er jetzt tun? Die Knochen liegen lassen und einen der Fischer bitten, die Polizei zu rufen? Dann könnte jemand anders hier herumstöbern. Sollte er sie einstecken und selbst auf die Wache bringen? Aber man durfte ja nichts anfassen. Das wusste er aus dem Fernsehen. Er würde schnell zum Hafen humpeln. Irgendeiner hätte bestimmt ein Handy und würde für ihn anrufen.
    Hinnerk war selbst noch nicht lange am Strand zurück, da sah er schon, wie die Beamten aus Esens oben am Deich auftauchten. Er winkte.
    „Hmm“, brummte Polizeihauptmeister Christian Hansen mit sandigen Schuhen, bückte sich und schnaufte. Er war mittlerweile Ende vierzig und konnte seinen Bauchansatz nicht mehr mit der Dienstjacke kaschieren. „Gräten sind das nicht!“
    „Ihr glaubt doch wohl nicht, ich rufe euch wegen ein paar lausiger Gräten an oder was?“ Hinnerk kochte
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