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Schattenfreundin

Schattenfreundin

Titel: Schattenfreundin
Autoren: Christine Drews
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da, in dem kalten Raum, stundenlang. Aber er ist nicht gestorben, er ist einfach nicht gestorben! Ich habe die ganze Zeit mein Kind angestarrt, mein Kind, das ich töten wollte, das aber unbedingt leben wollte. Es war schon weit nach Mitternacht, als er mich mit dem Kind endlich in eine Klinik brachte. Er ließ mich einfach am Eingang raus. Ich sollte sagen, dass ich eine Frühgeburt gehabt hätte, die würden mir dann schon weiterhelfen. Wochenlang lag Klaus auf der Intensivstation. Aber er hat es geschafft. Er hat seine eigene Abtreibung überlebt.«
    Wieder strich Tanja ihrem Sohn über den Kopf. Ihr Make-up war verschmiert. »Schwere postnatale Schädigungen, haben sie mir im Krankenhaus gesagt. Wäre er direkt nach der Geburt in den Inkubator gekommen, wäre er niemals so schwerbehindert. Niemals. Und hätte ich ihn ausgetragen …« Tanja schluckte. »Das ist das Werk deines Vaters. Sieh ihn dir genau an, damit du nie wieder vergisst, was für ein Teufel dein Vater war!« Sie drückte Klaus einen Kuss auf die Stirn und flüsterte: »Es tut mir so leid, Schatz, so leid …«
    Katrin war wie versteinert. »Mein Gott«, brachte sie nur hervor.
    Tanja schüttelte bitter den Kopf. »Nein. Gott war an jenem Abend nicht anwesend«, sagte sie mit hohler Stimme. »Durch den Eingriff bin ich unfruchtbar geworden. Mein Traum von einer eigenen Familie war ausgeträumt, da war ich gerade mal knapp siebzehn Jahre alt.«
    »Aber er hat dich finanziell unterstützt …«, sagte Katrin matt.
    »Große Klasse, was? Nachdem ich ihm gedroht hatte, ihn anzuzeigen, war er endlich bereit, uns finanziell zu unterstützen. Aber tausend Euro im Monat plus das läppische Pflegegeld – was glaubst du, wie weit man damit kommt? Glaubst du ernsthaft, damit hätte ich Klaus’ Pflege in so einem Heim bezahlen können? Nein. Ich habe Schulden über Schulden, mein Erbe, das Haus meiner Eltern, selbst diese alte Jagdhütte – alles gehört der Bank. Und dann hat dein Vater seine Praxis geschlossen und mir allen Ernstes erzählt, dass er in Zukunft nicht mehr zahlen könnte. Seine Pension sei nicht so üppig, und Klaus sei jetzt ja auch schon groß. Was dachte der sich eigentlich? Jetzt fangen die Probleme doch erst richtig an! Was glaubst du, was so ein Spezialrollstuhl kostet? Für jedes Extra muss ich mit der Kasse verhandeln! Und dann wird das meiste doch nicht genehmigt …«
    »Du hast ihn umgebracht …«
    »Es war seine gerechte Strafe!«
    »Wer bist du, dass du darüber urteilen kannst? Warum hast du ihn nicht angezeigt? Er wäre vor Gericht gestellt worden. Dort hätte er seine gerechte Strafe bekommen!«
    Tanja lachte. »Schöne Vorstellung. Wer hätte mir denn überhaupt geglaubt? Nach so vielen Jahren?«
    Katrin antwortete nicht.
    »Außerdem hätte ein Prozess niemals Gerechtigkeit gebracht für Annabell«, fügte Tanja leise hinzu.
    »Annabell …?«
    »Sie war meine beste Freundin … Und weißt du, wo wir uns kennengelernt haben? Ausgerechnet im Wartezimmer deines Vaters …« Tanja lachte spöttisch auf. »Dein beschissener Ehemann hatte ihr den tollen Tipp gegeben … sonst wäre ihr das alles erspart geblieben …« Mit dem Messer in der Hand ging sie zu einem Regal und nahm eine bunte Schachtel heraus. »Dein Vater hat ihr Baby weggemacht. Sie war im fünften Monat. Dabei war es auch kerngesund. Das kleine Mädchen hat die Prozedur nicht überstanden. Annabell hat es aus der Praxis mitgenommen. Dein Vater war froh, dass er das tote Baby nicht entsorgen musste …« Wieder liefen ihr Tränen über die Wangen, doch diesmal wischte sie sie nicht weg. »Sie hat ihr Kind im Wald begraben und sich ein paar Tage später an der gleichen Stelle erhängt.«
    »Das ist ja grauenvoll …« Katrin musste schlucken. »Jetzt verstehe ich, warum du meinen Vater gehasst hast. Aber warum hast du Leo entführt?« Sie sah zu ihm hinüber. Er hatte aufgehört zu weinen, und es schien, als würde er angestrengt zuhören.
    Tanja zuckte mit den Achseln. »Das gehört zu der Strafe.«
    »Was meinst du damit?«
    »Kurz bevor er ins Koma fiel, meinte er doch tatsächlich, ich könnte ihn gar nicht auslöschen, er würde immer in seinen Kindern weiterleben, in dir, in Leo. Da habe ich laut gelacht und gesagt, dass das nie passieren wird. Dass ich dafür sorgen werde, dass sein Enkelkind ihn ganz schnell vergisst und dass seine Tochter ihres Lebens nicht mehr froh werden wird. Du hättest das Entsetzen in seinem Gesicht sehen sollen!« Tanja lachte
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