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Schattenfreundin

Schattenfreundin

Titel: Schattenfreundin
Autoren: Christine Drews
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her.
    »Ist ja gut, Kläuschen, ist ja gut.« Tanja strich ihm über den Kopf. »Du brauchst dich nicht aufzuregen, die fremde Tante ist gleich wieder verschwunden. Für immer .«
    Katrin musste Zeit gewinnen. Sie ahnte, dass das ihre einzige Chance war. Sie musste Tanja in ein Gespräch verwickeln und hoffen, dass die Polizei in der Zwischenzeit auftauchen würde.
    »Ich dachte wirklich, du wärst meine Freundin«, sagte sie.
    »Falsch gedacht.«
    »Aber warum das alles? Warum hast du meinen Vater umgebracht?«, fragte Katrin mit zitternder Stimme.
    Tanja sah sie überrascht an. »Oh, das weißt du?« Sie lachte auf. »Er hatte es verdient. Glaub mir. Wenn einer es verdient hatte, dann er.«
    »War er sein Vater?« Katrin sah zu Klaus hinüber.
    Tanja prustete los. »Soll das ein Witz sein? Meinst du, ich wäre mit dem alten Sack ins Bett gegangen? Um Himmels willen, nein!«
    »Hat er dich … vergewaltigt?«
    »Gott nein!«
    »Dann erklär mir, warum! Erklär mir endlich, warum du das alles getan hast! Ich hab ein Recht drauf, es zu erfahren! Sag mir endlich, warum?!«, schrie Katrin. Tränen liefen ihr über das Gesicht.
    »Mama, Mama!«, rief Leo immer wieder und weinte laut. Es zerriss Katrin das Herz, dass sie ihn immer noch nicht in die Arme nehmen konnte.
    »Hör endlich auf zu heulen!«, sagte Tanja streng. Dann sah sie Katrin eine Weile ruhig an. »Du hast überhaupt kein Recht. Deine Familie hat jedes Recht verloren.«
    »Lass es mich verstehen. Bitte.«
    Tanja blickte zu Klaus. Auf einmal sah sie traurig aus. Dann holte sie tief Luft. »Dein Vater war damals die einzige Anlaufstelle für Mädchen mit Problemen.«
    Katrin schüttelte irritiert den Kopf. »Was meinst du damit? Ich weiß, dass er früher den Frauen vom Straßenstrich unentgeltlich geholfen hat, aber das liegt lange zurück. Was hat das alles hiermit zu tun?«
    »Mein Gott, bist du naiv!« Tanja lachte spöttisch. » Unentgeltlich – wie edel das klingt. Ja, zuerst waren es nur die Nutten, denen er die unerwünschten Bälger weggemacht hat, aber dann hat er spitzgekriegt, was für ein Geschäft man mit illegalen Abtreibungen machen konnte. Das war die Zeit, als es den Paragraphen 218 noch gab. Eine unerwünschte Schwangerschaft war damals ein Riesenproblem. Und ein Riesengeschäft. Vor allen Dingen für deinen Vater. Da war das Engagement für die Nutten ganz schnell vorbei, dann konnte jede nach Feierabend vorbeikommen, vorausgesetzt, sie hatte genügend Bargeld dabei.«
    Katrin hatte das Gefühl, der Boden unter ihren Füßen würde ins Wanken geraten. Daher kam also das ganze Geld, das sie immer im Haus hatten. Und deshalb musste ihr Vater abends noch so oft in die Praxis. Um illegal Abtreibungen vorzunehmen.
    »Wahrscheinlich hat er damit unzähligen Frauen geholfen, die in eine Notsituation geraten waren«, sagte sie schwach. Sie dachte daran, wie aufopferungsvoll ihr Vater sich um sie gekümmert hatte, als sie schwanger gewesen war, wie hilfsbereit und fürsorglich er sich verhalten hatte.
    »Mag sein«, sagte Tanja bitter. »Aber mein Leben hat er zerstört. Ich war erst sechzehn. Ich wusste gar nicht, was los war mit mir. Ich war zu einer Routineuntersuchung bei ihm, und plötzlich sagt er einfach so: Du bist in der vierundzwanzigsten Woche .«
    »Dann war es für eine Abtreibung doch sowieso zu spät.«
    »Nicht, wenn man Doktor Franz Wiesner heißt«, sagte Tanja. »Schwerstbehindert würde mein Kind sein, kaum lebensfähig. Er würde es mir wegmachen, hat er gesagt, ich müsste ihm nur fünftausend Mark geben, dann wäre ich alle Sorgen los, hat er gesagt. Keiner würde was davon erfahren …« Tränen traten ihr in die Augen. »Und dann bin ich in seine Praxis gegangen, abends, irgendwann im Mai. Trotzdem war es scheißkalt, und er hat es noch nicht mal für nötig gehalten, die Heizung anzumachen. Ich dachte, er macht es mir weg. Pustekuchen. Er hat mir stattdessen ein Wehen förderndes Mittel gegeben, und innerhalb kürzester Zeit hatte ich heftige Presswehen. Ich hatte ja keine Ahnung, was auf mich zukommt, die Schmerzen werde ich niemals vergessen. Das ist normal, hat er dann gesagt, der Fötus übersteht das nicht, der kommt tot raus, dann hast du es hinter dir …« Wütend wischte sie die Tränen weg. »Aber es kam ganz anders. Mein Klaus wollte leben, er wollte nicht sterben, er atmete, er schrie sogar ganz schwach. Also hat dein Vater ihn einfach auf dem Tisch liegen lassen. Der stirbt gleich, hat er gesagt. Nackt lag er
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