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Engelsgesang

Engelsgesang

Titel: Engelsgesang
Autoren: S.A. Urban
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„Ich habe Angst, Martin.“ Seine Augen irrten durch den düsteren kleinen Raum. Sie tasteten über die rostbraunen Wände, an denen vergilbte Drucke mit gehörnten mystischen Gestalten klebten und blieben an dem roh gezimmerten Holztisch hängen, auf dem ein antiker silberner Kelch stand.
    „Wir haben doch darüber geredet“, beruhigte ihn sein Freund. „Du weißt, dass es so nicht weitergehen kann, und du willst das ändern, oder?“
    Er nickte zustimmend.
    „Du willst diesen ganzen Scheiß hinter dir lassen und ein neues Leben beginnen?“
    Wieder nickte er, doch dieses Mal war sein Nicken schon verhaltener.
    „Du vertraust mir doch?“
    Sein Blick suchte die Augen seines Freundes. „Ja, sicher. Angst habe ich trotzdem!“
    „Komm, trink hiervon was!“ Martin hielt ihm den silbernen Kelch hin. Gehorsam legte er seine Lippen an das schwere Gefäß. Die bittere, leicht metallisch schmeckende Flüssigkeit bahnte sich einen Weg die Speiseröhre hinunter, in seinen Magen, wo sie ein brennendes Gefühl hinterließ. Er hustete und unterdrückte ein Würgen. Fast augenblicklich spürte er, wie sich ein leichter Schleier über seine Umgebung legte und die Realität ein Stück in den Hintergrund rückte.
    „Was ist denn das für ein scheußliches Gesöff?“ Er konnte ein Schütteln nicht unterdrücken.
    „Es wird dir helfen, dich zu entspannen. Und jetzt zieh dich aus!“ Sein Freund nahm einen roten schweren Seidenumhang von einem Bügel und legte ihn auf den Tisch. Selber griff er nach einem schwarzen Umhang, den er sich über die Schulter hing.
    „Muss das wirklich sein? … ich meine … nackt?“ Unsicherheit und Angst waren wieder auf seinem Gesicht erschienen und ließen ihn noch jünger aussehen.
    Sein Freund zuckte mit der Achsel. „Ich an deiner Stelle würde tun, was sie verlangen. Wir können sonst gleich wieder gehen.“
    „Warum musst du dich nicht ausziehen?“
    „Weil es hier nicht um mich geht!“, erwiderte Martin mit so ernster Stimme, dass sein Gegenüber zusammen zuckte. Zögernd begann er, ein Kleidungsstück nach dem anderen vor sich auf den Tisch zu legen. Als er sich schutzsuchend die Arme um den sehnigen Oberkörper schlang, legte sein Freund ihm den roten Stoff um die Schulter und zog ihn in eine Umarmung. „Du schaffst das! Glaub an dich! Ich bin die ganze Zeit in deiner Nähe und lass dich nicht allein. Ich bin da, wenn du das Ritual beginnst, und ich werde da sein, wenn du zurückkommst.“
    „Was meinst du damit? Werde ich weg sein?“
    Darauf antwortete sein Freund nichts. Stattdessen strich er ihm mit einer behutsamen Geste die blonden Locken aus der Stirn. „Alles wird gut.“
    Beide zuckten zusammen, als jemand drei Mal dumpf gegen die Tür schlug.
    „Es ist so weit.“
    „Bitte, Martin, lass mich nicht los!“ Er hielt seinen Freund umfangen. Die Furcht ließ seine Stimme hohl klingen.
    Sacht drückte Martin ihn von sich weg. „Es gibt kein Zurück mehr. Denk daran, du tust es für deine Zukunft und du tust es für uns. Ich liebe dich.“ Er zog ihm mit einer knappen Geste die Kapuze über das Haar und reichte ihm erneut den Kelch.
    „Nein“, er schüttelte den Kopf, während er die rote Flüssigkeit mit angeekeltem Gesicht betrachtete. Träge bewegte sie sich im Becher hin und her. „Ich kriege das Zeug auf keinen Fall noch mal runter.“
    „Du musst! Vorher können wir nicht beginnen.“
    Er konnte sich der Aufforderung, die in Martins blauen Augen lag, nicht widersetzen. Seine Kraft reichte dafür nicht aus.
    „In Ordnung … für uns.“ Seine Hände griffen den Kelch und mit einem Zug stürzte er den Trank hinunter. Klirrend fiel der Becher um und rollte, eine zähe rote Spur hinter sich herziehend, über den Tisch.
    „Das Schlimmste hast du schon geschafft“, sagte Martin und strich seinem Freund über den gekrümmten Rücken. Würgend bemühte sich dieser seinen Mageninhalt bei sich zu behalten.
    „Gut so, atme. Du darfst es nicht wieder erbrechen. Ja, gleich wird es besser.“ Martin griff seinen Freund an der Schulter und half ihm beim Aufrichten. Das schöne, ehemals glatte Gesicht war blass, von Schmerzen verzerrt und schweißüberströmt.
    „Bist du bereit?“
    „Einen Moment! Bitte, erzähl mir noch einmal, warum ich dass hier tue. Ich glaube, ich habe es gerade eben vergessen …“ Er wirkte, so kreidebleich wie sein Gesicht war, als würde er gleich ohnmächtig werden.
    „Nein. So sehr ich es mir auch wünsche, du würdest es nie
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