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Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Titel: Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
Autoren: Maria Norda
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Henkersmalzeit serviert mein Schatz, schoss
es mir durch den Kopf und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Er hätte
das alles hier mehr als absurd gefunden.
    Beinah alle Anwesenden hatten die
Köpfe bedächtig gesenkt und es kam mir vor, als wäre ich die Einzige, die jeden
Schritt, jede Bewegung, jede Geste des Bestatters genau inspizierte. Es war
fast so wie bei einem Autounfall. Man sollte es sich nicht ansehen, aber man kommt
nicht umhin hinzuschauen.
    Vor mir und Ines, seiner Mutter, stand
ein hüfthohes Podest, welches mit schwerem, dunklem Stoff verkleidet war. Der
Mann in schwarz stellte die Schale behutsam darauf ab. Er hielt kurz inne,
verbeugte sich und trat einen Schritt zurück, um die Lücke zwischen meiner
Schwiegermutter und mir zu komplettieren.
    »Lassen Sie uns kurz im Stillen
gedenken«, sprach er in ruhigem und monotonem Ton. Man hätte in dieser Sekunde
fast eine Stecknadel fallen hören können, doch augenblicklich wurde dieser
Moment von einem weiteren Schnäuzen unterbrochen.
    »Wir haben uns heute hier versammelt,
um Robert Dryker die letzte Ehre zu erweisen. Viel zu jung bist du gegangen,
viele Pläne unerfüllt, viele Herzen in Trauer gebrochen. Doch der Tod ist nicht
das Ende. Der Tod gehört zu unser aller Leben und doch kommt immer wieder die
Frage in uns hoch: Wieso? Warum jetzt? Warum du?«
    Ich war kaum in der Lage den Worten
weiter zuzuhören. Es spielte auch keine Rolle. Ich kannte den Text in und
auswendig, schließlich hatte ich ihn ausgesucht. Doch das alles jetzt zu hören
und nicht nur auf einem gefühlslosen Blatt Papier zu lesen tat weh, schmerzte.
Es waren fremde, kalte Worte, die an mein Ohr drangen.
    Mein Blick schweifte über die
Gesichter der anderen Trauernden. Die meisten der anwesenden Frauen hatten sich
in ihre Taschentücher vergraben und hielten in der anderen Hand bereits das Nächste.
Die Männer hatte meist eine betretende Miene aufgesetzt, ernst und
verschlossen. Bei einigen zeichnete sich sogar Wut in den Augen ab.
    War es die Wut darüber, dass er uns
das hier antat? Oder war es vielleicht Wut auf mich, weil ich ihnen einen
Grabstein vorenthielt und keinen festen Ort der Trauer zugestand?
    Meine Augen trafen die von Ines und
sie durchfuhren mich wie ein Schwert. Ihr Blick war fest, fast versteinert und
ich konnte in ihrem Gesicht ablesen, was ich fühlte. Das alles hier konnte
nicht real sein. Wie konnte er tot sein, wenn seine Anwesenheit doch
allgegenwärtig spürbar war? Wenn sein Geruch den Raum erfüllte, wenn seine
Sachen auf der Ablage standen, wenn es neben mir immer noch einen Platz zum
Schlafen gab?
    Ich war hier als seine Ehefrau. Fünf
Jahre hatten wir zusammen verbracht und dabei waren unsere Leben so fest
miteinander verwoben worden, dass es ohne den anderen nicht ging. Was sollte
mich daran hindern nicht sofort in tausend Stücke zu zerspringen, wenn doch mein
ganzer Halt angeblich weg war?
    Und wie kam eine Mutter damit
zurecht, dass ihr einziger Sohn nur noch ein Häufchen Asche war? Sie hatte ihm
das Leben geschenkt, ihn zu dem Mann geformt, in den ich mich verliebt hatte.
Und jetzt versuchte ein Fremder sein Leben zusammen zu fassen und sprach davon,
dass der Tod nicht das Ende bedeutete. Was sollte dies hier sonst sein?
    »Er hätte diese hohlen Sprüche nicht
gewollt.« Die Worte drangen wie von selbst über meine Lippen und augenblicklich
war ich erstarrt, unfähig dem Gesagten noch etwas hinzuzufügen.
    Alle Blicken waren auf mich
gerichtet. In manchen Gesichtern sah ich Verwunderung, in anderen Ungeduld. Sie
alle hatten eines gemeinsam – sie warteten auf eine Erklärung. Doch das
Schlimmste war das Mitleid, welches einem jeden von ihnen anhing. Das Mitleid
mit der zurückgebliebenen Witwe, die den Tod ihres Mannes nicht wahrhaben
wollte.
    »Wir sollten ihn freigeben«, eilte
mir Ines mit sanfter Stimme zu Hilfe und sah dabei den Bestatter an.
    Er quittierte ihren Einwand mit einem
knappen Nicken und trat zurück. Jeder würde nun die Gelegenheit bekommen sich
persönlich von Robert zu verabschieden.
    In der Schale lag ein silberner
großer Löffel. Nacheinander traten die Anwesenden vor, schöpften einen Teil des
grauen Pulvers und verteilten seine Asche auf der Wiese. Die einen murmelten
dabei letzte Worte, die anderen vollzogen es schweigend. Die einen kippten die
Asche fast achtlos auf den Boden, die anderen versuchten sie flächendeckend zu
verteilen.
    Ich war als letztes an der Reihe.
    Die Schale vor mir war fast
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