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Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Titel: Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
Autoren: Maria Norda
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kleinen malträtierenden
Stichen zu Wort. Ich hatte bereits seit drei Stunden versucht, die
Analyseergebnisse unserer letzten Kundenumfrage in einen Bericht zu verpacken.
Und ich hatte nichts weiter als eine chaotische Buchstabensuppe produziert.
    Auf dem Weg begegnete ich niemandem
und auch die Küche war leer. Gott sei Dank! Ich konnte die betretenden Blicke,
die Beileidsbekundungen, das Schweigen, die Suche nach den richtigen Worten,
nicht mehr ertragen.
    Der Kaffeevollautomat, dessen
Anschaffung uns große Überredungsküste bei unserem Chef gekostet hatte, surrte
leise vor sich hin und langsam floss das schwarze Gold in meine Tasse. Der einzige
Nachteil an dieser Wundermaschine war, dass er anscheinend mit dreihundert Grad
Celsius brühte und man gute fünfzehn Minuten warten musste, damit man sich bei
dem Genuss nicht die Zunge verbrannte. Ich nahm die Tasse und versuchte in der Wartezeit
meine Hände an ihr zu wärmen.
    Als ich zum Fenster blickte, hatte
sich der seit vier Tagen anhaltende Regen in kleine Schneeflocken verwandelt.
Wild und ungestüm tanzten sie durch die Luft – mitten im April.
    »Ich habe Sie heute nicht hier
erwartet«, sprach es hinter mir mit ernster Stimme.
    Ich erschrak und die Tasse glitt mir
aus den Händen. Unfähig mich zu bewegen blickte ich ihr hinterher. Mit einem
lauten Knall zerschellte sie und der gesamte Inhalt ergoss sich über den Boden.
     »Verdammter Mist!«, fluchte ich und
machte einen Schritt nach hinten. Als ob das etwas geändert hätte. Betreten sah
ich zu ihm auf. Langsam kam er auf mich zu, nahm einen Stapel Einweghandtücher
von der Anrichte und ging vor mir auf die Knie – es mein Chef Frank Merckel.
Ich sank neben ihn auf den Boden und gemeinsam kämpften wir gegen den schwarzen
See.
    Er war mehr als mein Chef, er war
auch mein Mentor, mein Förderer, der den irrsinnigen Plan verfolgte, dass ich
einmal seine Nachfolge antreten würde. Sehr zum Leidwesen anderer potentieller
Kandidaten, die sich bereits Hoffnungen gemacht hatten.
    »Ich sage es Ihnen ja nicht gern«,
setzte er an, als das Chaos halbwegs gebannt war, »aber Ihre Augenringe reichen
bis zum Boden.«
    Ich schwieg. Ich konnte ihm ja
schlecht sagen, dass ich in den letzten Tagen kaum bis gar nicht geschlafen
hatte – ich konnte es einfach nicht, wenn Robert nicht neben mir lag. Immer
wieder wartete ich darauf, der er zu mir unter die Decke kroch. Doch ich
wartete vergebens, Stunde um Stunde, Nacht für Nacht.
    Herr Merckel nahm zwei Tassen aus dem
Regal und bereitete uns beiden einen neuen Kaffee zu. Mit einer Handbewegung
deutete er auf die Sitzecke und ich hatte keine andere Wahl, als Platz zu
nehmen.
    »Emilia, sehen Sie mich an. Ich kann
es wirklich nicht begrüßen, dass Sie schon wieder arbeiten gehen.« Er trank
einen Schluck und verzog dabei fast unauffällig das Gesicht vor Hitze. »Sie
waren gerade einmal einen Tag außer Dienst. Sie brauchen eine Pause. Sie haben
vor vier Tagen Ihren Mann verloren!«
    Er griff nach meiner Hand und umschloss
sie väterlich. »Es ist keine Schande, sich auch einmal Zeit für sich selbst zu
nehmen und ich bin der Letzte, der Ihnen das vorwerfen würde.«
    »Ich kann nicht«, sagte ich mehr zu
mir selbst als zu ihm. Ich war mir nicht sicher, ob er es gehört hatte. Tief
atmete ich durch und der Kaffeeduft stieg mir in die Nase.
    Noch immer hatte er seinen Blick auf
mich geheftet.
    Was erwartete er von mir? Dass ich in
Tränen vor ihm zerfließen würde? Dass ich einem Schreikrampf erliege? Dass ich
alle an meinem Schmerz teilhaben ließ? Nichts davon würde in diesen Räumen
stattfinden. Hier gab es keinen Platz dafür. Das hier war meine Arbeitswelt –
keine Welt für Gefühle oder emotionale Ausbrüche. Das war sie nie und das würde
sie auch nie sein!
    Entschieden stand ich auf. »Bitte
respektieren Sie meine Entscheidung, aber ich werde mich nicht zurückziehen! In
zwei Tagen werde ich meinen Mann beerdigen und die Arbeit hier ist im
Augenblick das einzig Normale in meinem Leben. Ich werde nicht gehen, ich werde
keinen Urlaub nehmen und ich erwarte kein Mitgefühl. Ich will einfach nur diese
Normalität!«
    Auch er erhob sich, ganz dicht
standen wir beieinander und ich roch sein Aftershave. Herr Merckel war kein
unattraktiver Mann, im Gegenteil. Ihn umhüllte eine Aura von Selbstsicherheit
und Zuversicht. Er trug einen akkurat gestutzten Bart, der seinen Mund und das
Kinn umrandete. An seinen Schläfen zeichneten sich inzwischen die ersten
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