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Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Titel: Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
Autoren: Maria Norda
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eine
Stimme von der Seite an und riss mich aus meinen Gedanken. »Was macht mein Bericht?
Der sollte bis zwölf Uhr auf meinem Schreibtisch liegen!«
    Ich blickte auf. Ich saß vor meinem
Tisch, die Hände lagen auf der Tastatur und auf dem Bildschirm hatte sich die Anzahl
der Wörter vervielfacht, seit ich sie das letzte Mal wirklich wahrgenommen hatte.
Wie zur Hölle war ich hierhergekommen? Hatte ich nicht vor einem Wimpernschlag
noch den Schneeflocken bei ihrem Tanz zugesehen?
    Neben mir, mit verschränkten Armen
vor der Brust und sichtlich ungeduldig, stand Herr Kunz. Der Albtraum meiner
verkorksten Nachmittage, wenn ich nach Hause kam und nichts weiter tun konnte,
als mich über diesen Mann aufzuregen.
    Er war der Abteilungsleiter des
Controllingbereiches. Immer wieder hing er sich in Themen rein, mit denen er
originär überhaupt nichts zu tun hatte, um dann eine Welle von Aufgaben
auszulösen, die eher einer Beschäftigungstherapie glichen als produktiver
Arbeit. Sein Hauptgeschick lag allerdings darin, die Ideen und Vorschläge
anderer im Keim zu ersticken, damit er sie dann bei passender Gelegenheit
selbst darbieten konnte, um die Lorbeeren einzustreichen.
    Ich hasste ihn. Normalerweise waren
meine Arbeitskollegen alle Neutren für mich und ich verband keinerlei Emotionen
mit ihnen, mein Maß für Professionalität. Aber dieser Mann – ich hasste ihn.
    »Herr Kunz.« Ich legte mein schönstes
Werbelächeln auf und sah ihm in seine glasigen Augen. »Was kann ich für Sie
tun?«
    Selbstbewusstsein war die einzige
Waffe, die man gegen diesen Widerling verwenden konnte. Und dass ich auch noch
eine junge und nicht minder gutaussehende Frau war, tat sein Übriges. Kleine
Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und hektisch blickte er sich um,
wie ein aufgeschrecktes Schaf, das befürchtete, vom Wolf gefressen zu werden.
    »Mein Bericht«, entfuhr es ihm. »Er
sollte heute Mittag fertig sein und mir vorgelegt werden!«
    Eine grübelnde Miene umspielte mein
Gesicht und ahnungslos sah ich ihn an. »Es tut mir sehr leid Herr Kunz, aber
ich schreibe mehr als einen Bericht. Ich fürchte ich weiß nicht genau, was Sie
mit ›meinem Bericht‹ meinen.« Ich stand auf und straffte meine Schultern.
    Herr Kunz war ein beleibter Mann, ein
sehr beleibter Mann sogar. Ich war, zugegebener Maßen nur dank meiner
hochhackigen Schuhe, etwas größer als er. Sein Kopf war eine einzige kahle
Mondlandschaft und nur an den Schläfen zeigten sich noch einige verirrte Haare,
durch die er sich jetzt mit seiner wulstigen Hand fuhr. Eilig nahm er ein
Taschentuch aus seiner Bundhose und tupfte sich damit über die Stirn. Nochmals
ein hektischer Blick nach links und rechts, ob auch ja keiner unser Gespräch belauscht
hatte. Er machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand.
    Ein Lächeln huschte mir über die
Lippen. Das war ich , das war mein Arbeits–Ich und auch wenn ich diesen
Mann abgrundtief hasste, er hatte mich aus meiner Starre befreit und mir
zumindest für einen kurzen Moment das Gefühl von Stärke geschenkt. Meiner alten
Stärke, die sich seit dem Blick auf das Gesicht verabschiedet hatte und von der
ich schon fast annahm, ich würde sie so schnell nicht wieder empfinden.
    Ich schaute auf die schwarzen Zeichen
auf meinem Bildschirm. Da lag noch eine Menge Arbeit vor mir. Ich zupfte meinen
Rock zu Recht, dehnte meine Schultern und nahm vor meinem Schreibtisch Platz.
    Es wurde Zeit einen Bericht zu
schreiben – seinen Bericht.

Kapitel
3
     
    Bekannte und unbekannte Gesichter
hatten sich um die Wiese versammelt. Gemeinsame Freunde, ehemalige
Kommilitonen, Arbeitskollegen – und ich. Eine schwarz gekleidete Masse die
darauf wartete, Robert die letzte Ehre zu erweisen.
    Immer wieder unterbrach ein Schniefen
oder Schluchzen die Stille des Morgens. Der Nebel hatte sich noch nicht ganz
gelichtet und kleine Wogen schoben sich zwischen den Grabsteinen empor.
    Wir hatten uns in einem Halbkreis um
die Streuwiese postiert. Wenn man genau hinsah, zeigte sich an manchen Stellen
noch die Asche früherer Verstorbener. Sie hatte sich an den Grasbüscheln
festgesetzt und klebte an den heraussprießenden Stängeln.
    Wie lange würde Roberts Asche wohl
brauchen, bis sie ganz vom Antlitz der Erde getilgt worden war?
    Auf dem Kiesweg hinter uns waren
Schritte zu hören. Der Bestatter kam mit steifem Gang auf uns zu, in seinen
Händen eine große weinrote Keramikschale mit Deckel. Sie sah fast aus wie eine
Suppenterrine. Du wirst als kleine
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