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Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Titel: Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
Autoren: Maria Norda
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»Verarbeitung
von angestauten Kollegen–Emotionen« anging nicht so impulsiv und gesprächig wie
ich. Doch das er sich regelmäßig die Frage stellte, wie so ein Mensch
Bankdirektor werden konnte, war mir Antwort genug. Dieser Mann war jemand, den
Robert so gut es ging ignorierte und nur die absolut notwendige Aufmerksamkeit
zukommen ließ. Und auch ich würde dies so handhaben, das war ich ihm schuldig.
    »Dr. Eisenfelder, ich weiß das
wirklich sehr zu schätzen, dass Sie gekommen sind. Vielen Dank. Würden Sie mich
wohl entschuldigen?« Ich drehte mich auf dem Absatz um und ging – ein sauberer
Abgang.
    Doch wohin jetzt?
    Ich musste weg, am besten weit weg,
damit er mir nicht folgen konnte und krampfhaft versuchen würde, dass Gespräch
wieder aufleben zu lassen.
    Ziellos ging ich durch den Raum bis
mein Blick auf die Kerzen fiel, deren Flammen vom Wind unruhig hin und her
gepeitscht wurden.
    Als ich nach außen trat empfing mich
ein kalter Luftzug und sofort waren meine Gedanken klarer. Und noch etwas war
hier anders – die Ruhe. Kein Stimmengewirr, welches unablässig versucht den
Raum mit Leben zu füllen, kein klirrendes Geschirr oder das Klappern von
Besteck.
    Wohlig umschlangen mich Kälte und
Ruhe und hielten mich fest in ihren Armen. Ich stellte mein Glas auf die
Balustrade und sah gen Himmel. Die Wolkenfront bewegte sich träge vor meinem
Augen entlang, drohte an einigen Stellen aufzureißen, bis dieser Spalt von
einer neuen Masse an Wolken geschlossen wurde.
    Ich wollte weinen, wie all die anderen,
die sich ständig in ihren Taschentüchern vergruben und deren Stimmen immer
wieder brachen. Ein übermächtiger Druck lag auf meinen Körper und ich hatte das
Gefühl zu platzen. Ich hatte bisher nicht eine Träne um ihn vergossen. So sehr
ich es mir auch wünschte, meine Augen waren trocken wie eine ausgedorrte Wüste.
    Was war los mit mir?
    Ich nippte an meinem Whisky, der mir
brennend die Kehle entlang kroch. Das war damals das Erste gewesen, auf das mich
Robert eingeladen hatte – ein Whisky. Ich hatte keine Ahnung von den ganzen
Bezeichnungen und Namen. Ich wusste nicht einmal, welche Marke es damals gewesen
war. Dieser hier war es nicht. Er schmeckte bitterer, fast so als würde er
meine Stimmung kennen und versuchen diese widerzuspiegeln.
    Die Balkontür hinter mir wurde geöffnet
und der Lärm von innen drang in meine stille Welt.
    »Bitte jetzt nicht«, sagte ich schwer
atmend. »Ich brauche einen Moment für mich.«
    Jemand legte mir sacht eine Jacke
über meine Schultern und als ich aufblickte hatte sich Ines neben mich gestellt
– seine Mutter – und es verschlug mir noch mehr den Atem.
    Sie hatte es mir nie verziehen, dass
Robert sich für mich entschieden hatte. Insgesamt war sie mit seiner Wahl nicht
zufrieden gewesen und hatte mich dies auch immer spüren lassen. Unser
bisheriger Kontakt beschränkte sich auf ein Minimum. Eine gegenseitige
Gratulation zum Geburtstag und ein gemeinsames Kaffeetrinken an den
Weihnachtsfeiertagen, mehr nicht.
    Ich war ihr nicht recht. Sie fand,
ich sei nicht genug für ihren Sohn. Ich würde ihm seinen Weg verbauen, er war
zu mehr bestimmt, als mit mir in Leipzig zu sitzen und an einer kleinen Bank zu
arbeiten. Doch es war seine Entscheidung gewesen und nicht meine. Er hatte sich
dafür entschieden, sein Leben mit meinem zu verknüpfen.
    Aber dies alles schien egal zu sein, zählte
nicht, ich war schuld.
    Ich spürte wie der Druck um meinen
Brustkorb immer größer wurde. Wie ein Schraubstock zog er sich immer fester und
ließ mich nicht einatmen.
    Würde sie mir dies auch noch
vorwerfen? Würde sie mir nun auch noch vorwerfen, dass ich an seinem Tod schuld
sei?
    »Ich weiß wie du die fühlst«, sprach
sie ganz leise und richtete dabei ihren Blick starr nach vorn. »Sie alle werden
dir ihr Beileid aussprechen, dir erzählen, dass auch sie leiden, aber keiner
wird wirklich wissen, wie es dir geht. Sie werden vergessen, ganz langsam aber
unaufhaltsam – sie werden vergessen.« Ihre Stimme war kaum mehr als ein
Flüstern und ich war mir nicht sicher, ob ihre Worte wirklich mir galten. »Auch
ich habe auch meinen Mann verloren. Der Schmerz ist immer geblieben, immer
wieder klopft er an meine Tür und ich bin machtlos dagegen. Das tut er mir
schon seit 25 Jahren an und ich glaube nicht mehr daran, dass die Zeit alle
Wunden heilt. Wenn man wirklich geliebt hat, dann ist dieses Leben, das einem
genommen wurde, mit nichts aufzufüllen.«
    Noch nie hatte sie so
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