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Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Titel: Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
Autoren: Maria Norda
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Kapitel 1
     
    »Ist er das?« Die Stimme des
uniformierten Mannes klang unwirklich gedämpft. Er hatte sich etwas abseits
postiert, um mir den nötigen Freiraum zu geben, den ich anscheinend brauchte.
    Ich sah ihn an. Es fiel mir schwer,
meinen Blick von dem Tisch vor mir abzuwenden und nickte. Ich konnte es nicht laut
aussprechen. Dann wäre dies hier alles wahr gewesen, alles real, nicht bloß ein
böser Traum.
    Besorgt sah er mich an. Wie oft hatte
er solch einem Prozedere bereits beiwohnen müssen? Er war höchstens dreißig
Jahre alt und doch strahlte er Ruhe und tiefstes Mitgefühl aus. Wie oft hatte er
es schon erlebt, dass die Menschen genau an dieser Stelle zusammenbrachen? Dass
sie sich voll ihrer Trauer hingaben, dem Schmerz, dem Leid und es nicht wahrhaben
wollten?
    Die junge Frau, die vorhin noch bei
ihm gewesen war, hatte uns nicht in die Halle begleitet. Wahrscheinlich hatte
sie dies noch nicht so oft mitgemacht wie er und ertrug es nicht so souverän.
    Würde ich diesen Schmerz ertragen? Würde
auch ich in wenigen Sekunden keinen Boden mehr unter meinen Füßen spüren?
    »Sie haben mein aufrichtiges Beileid
Frau Dryker«, sprach er und trat einstudiert einen Schritt zurück. Seine
Schirmmütze hatte er dabei in einer fließenden Bewegung abgenommen und unter
seinen Arm geklemmt.
    Wollte er mich nicht auffangen, wenn
ich doch gleich zusammenbrechen würde?
    Wieder blickte ich auf den Edelstahltisch
vor mir.
    Da lag er, eingehüllt in grünen sterilen
Tüchern, so dass nur sein Gesicht und der Ansatz seiner Schultern heraus
lugten. Er sah so verändert aus. Ein rosa Schimmer zeichnete sich auf seinen
Wangen ab. Seine Gesichtszüge waren völlig entspannt. Fast friedlich lag er vor
mir, als würde er schlafen und einem schönen Traum nachgehen, der ihm ein
Lächeln auf die Lippen zauberte.
    Jemand räusperte sich und
unwillkürlich folgte ich dem Geräusch. Im hinteren Teil des vollgefliesten Raumes
gab es ein Separee, das nur durch eine Glaswand abgetrennt war. An seiner Tür
stand ein massiger Mann in weißem Kittel und hatte die Arme vor der Brust
verschränkt. Ungeduldig sah er auf seine Armbanduhr. Es war spät geworden und
was bedeutete der Tod schon für jemanden, der ihn acht Stunden am Tag um sich
hatte?
    Für ihn war Robert nichts weiter als
eine Nummer. Ein weiterer Kunde, der aufgeschnitten, untersucht und wieder
verschlossen wurde. Tote kannten keine Emotionen, weinten nicht, jammerten
nicht, regten sich nicht auf. Er war nur ein Mann, der inzwischen längst
Feierabend hatte und zu seiner Familie wollte.
    Ich wand mich ab, atmete tief ein und
blickte wieder zu dem mir so vertrauten Gesicht. Die Falten auf seiner Stirn
waren nun kaum mehr zu erkennen, so entspannt lag er da. Die Falten, die sich
immer abzeichneten, wenn er konzentriert einem Gedanken nachging. Die Falten,
die sich in seine Stirn gruben, wenn er mich mit kritischem Blick musterte,
weil ich wieder irgendeinen Blödsinn geredet hatte. Ich würde dies nie wieder
sehen.
    Vorsichtig hob ich die Hand und
wollte über sie streifen, mir ihre Position genau einprägen. Mitten in der
Bewegung spürte ich einen sanften Druck auf meinem Arm, der ihn bestimmt nach
unten drückte.
    »Es tut mir leid Frau Dryker, aber
sie dürfen ihn nicht anfassen.«
    Ruckartig drehte ich meinen Kopf, sah
den Polizisten an und wäre ihm am liebsten an die Gurgel gesprungen. »Das ist
mein Mann!«, zischte ich ihm entgegen.
    Betreten sah er mich an und griff in
seine Jackentasche. Er reichte mir ein paar Einweghandschuhe und erst da erkannte
ich, dass auch er welche trug. Schnell nahm ich sie ihm in der Angst ab, er
könnte es sich anders überlegen. Mühsam zwängte ich mir den Latex über die Finger,
aber immer wieder blieb es an meiner Haut kleben. Widerspenstig weigerte es
sich auch nur einen Millimeter über meine Glieder zu gleiten. Eigentlich hatte
ich zarte dünne Hände, doch jetzt kam es mir so vor, als hätte jeder Finger den
Umfang einer Gurke.
    Immer hektischer wurden meine
Bewegungen, immer schneller ging mein Atem und immer größer wurde das Knäul,
das sich um meine Finger spannte.
    »Warten Sie, ich helfe ihnen«, sprach
er und ergriff meine Hände. Tief blickte er mir in die Augen und ich spürte,
wie sich seine Ruhe auf mich übertrug. Ich versuchte mich darauf zu
konzentrieren zu atmen, Zug um Zug in diesem Moment zu verweilen. Gekonnt löste
er die Verwirrung auf, erst die linke dann die rechte Hand. Er sah zu mir auf
und lächelte
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