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Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Titel: Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
Autoren: Maria Norda
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besorgt ausgesehen.
    Dabei war das der einzige Gedanke,
der mich erfüllte.
    Ich war allein – für immer.
    Das Läuten der Wanduhr riss mich aus
meiner Starre. »Es ist inzwischen Mitternacht«, schien mir das Ungetüm mit
jedem Klingen zuflüstern zu wollen. Das massive Pendel schwang monoton hin und
her. Robert hatte sie irgendwann mal im Schaufenster eines Antiquariats gesehen
und nichts hatte ihn davon abgehalten können, dieses Monstrum aus Holz und
Metall in unseren Flur zu stellen. Die ersten Nächte hatte ich kein Auge
zubekommen, wenn es mit unaufhörlicher Präzision das Ende des Tages verkündete.
Jedes Mal stand ich mehr im Bett, als das ich lag. Schelmisch lächelnd hatte er
immer gesagt, ich würde mich schon daran gewöhnen. Dabei meinte er eher, ich müsste,
denn die Uhr würde bleiben, egal welche Einwände ich vorbringen würde.
    Langsam versuchte ich aufzustehen.
Meine Beine waren starr vor Kälte und nur an der Wand geklammert gelang es mir,
mich aufzurichten. Ich nahm den Mantel ab, schlüpfte aus den Schuhen und ging
ins Schlafzimmer. Ich zog meine unbequemen Arbeitssachen aus, legte Blaser,
Rock und Bluse sorgfältig zusammen auf die Bettkante und zog T–Shirt und
Jogginghose an. Vorsichtig öffnete ich den Dutt an meinem Hinterkopf und meine
langen blonden Haare fielen mir in sanften Wellen über die Schultern.
    Auf dem Weg ins Wohnzimmer schlug mir
eine Welle aus Lilienduft entgegen. Der Strauß stand immer noch auf dem
Esstisch, genauso wie ich ihn zurück gelassen hatte. Die kelchförmigen Blüten
hatten sich inzwischen geöffnet und offenbarten ihr pink gemustertes
Innenleben. Ich trat näher heran und betrachtete den Strauß. Wie vergänglich
doch alles war. In ein paar Tagen würde von ihrer Schönheit nichts weiter als
vertrocknetes Laub und verwelkte Blüten zurückbleiben.
    Erst jetzt bemerkte ich, dass
zwischen den Blumen etwas steckte, ein Zettel.
    Mit zitterigen Händen griff ich
danach. Es war eine Karte, an der offenen Kante zusammengeklebt. Mein Herz
schlug mir bis zum Hals. Ich hatte sie vorhin nicht entdeckt – vorhin, als es
geklingelt hatte.
    Ich war gerade nach Hause gekommen
und bereits am Eingang war mir der Duft in die Nase gestiegen. Ich liebte
Lilien, dass wusste er nur zu gut. Mein Kopf war tief über den Strauß gebeugt,
um den Duft in mir aufzusaugen, als es geklingelt hatte.
    An der Tür hatten mich zwei Polizisten
empfangen, ein Mann und eine Frau. Ernst hatte mich der Mann angesehen bis sein
Gesicht einen sonderbaren Ausdruck angenommen hatte.
    »Guten Abend. Entschuldigen Sie die
Störung. Sind Sie Frau Emilia Dryker?«, hatte er mich in ruhigem Ton gefragt.
Die Frau hatte betreten und unsicher auf den Boden geblickt.
    »Frau Dryker, es geht um ihren Mann,
Robert Dryker. Es tut mir sehr leid Ihnen mitteilen zu müssen, dass ihr Gatte
heute Vormittag verstorben ist.«
    Ich hatte nichts erwidern können.
    Robert hätte nur seinen Firmenausweis
dabei gehabt, was für eine Identifizierung nicht genügen würde. Ich müsste als
seine nächste Angehörige seine Identität bestätigen.
    Die Bitte, mit in das rechtsmedizinische
Institut zu kommen, die stumme Fahrt dorthin, der Anblick seines Gesichts.
    Und nun stand ich hier, vor einem
Strauß Lilien und der Karte von Robert, der Karte meines verstorbenen Mannes. Wieder
musste ich mich daran erinnern zu atmen und entfaltete das Stück Papier.
    Die Worte die mir entgegenschlugen
raubten mir die letzte Kraft.
    »Kann heute spät werden, aber ich
liebe dich!«
    Ich sank auf die Knie, kein Gefühl
regte sich mehr in mir. Ich war gelähmt, erfüllt von Leere, unfähig etwas zu
spüren.
    Warum hatte ich nichts gemerkt? Ich
hätte doch irgendetwas fühlen müssen!
    Ich konnte es spüren, wenn er
Kopfschmerzen hatte. Ich konnte es spüren, wenn sich eine Erkältung anbahnte. Er
brauchte es mir nie zu sagen, ich wusste es schon vorher. Wenn es ihm schlecht
ging, dann ging es auch mir schlecht. Wenn er Schmerzen hatte, dann hatte auch
ich Schmerzen und nun war er einfach gestorben – und ich war hier und lebte.
    Er war einfach so gestorben und ich
hatte nichts gespürt!
    Man hatte ihn in einer Seitenstraße
unweit von seinem Büro gefunden. Das war gegen Mittag gewesen, da war er laut
Gerichtsmedizin schon zwei Stunden tot gewesen. Es gab keinerlei Anzeichen auf
Gewalteinwirkungen und so gingen sie von einer natürlichen Todesursache aus.
    Eine natürliche Todesursache – was
war daran natürlich, wenn ein gesunder Mann mit
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