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Das Rätsel der dritten Meile

Das Rätsel der dritten Meile

Titel: Das Rätsel der dritten Meile
Autoren: Colin Dexter
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Ein Veteran der Offensive von El Alamein findet Anlaß, sich an den furchtbarsten Tag seines Lebens zu erinnern.

    Sie waren einmal drei gewesen — die drei Brüder Gilbert: Alfred und Albert, die Zwillinge, und ihr jüngerer Bruder John, der dann in Nordafrika gefallen war. Das war nun über vierzig Jahre her. An diesem Abend jedoch, während er in einem Nord-Londoner Pub allein vor seinem Bier saß, war in Albert die Erinnerung an seinen Bruder John wieder lebendig. John war weniger robust und auch verletzlicher gewesen als er und Alfred. Aber sie beide, die einander glichen wie ein Ei dem anderen, waren ja auch immer zusammen aufgetreten und deshalb unangreifbar gewesen. Als die Älteren hatten sie stets versucht, John zu beschützen; doch an jenem verhängnisvollen Tag im November 1942 hatten sie nichts für ihn tun können.
    In den frühen Morgenstunden dieses Tages war das Unternehmen «Supercharge» gestartet worden, das sich gegen die Wüstenstraße von Sidi Abd el Rahman westlich von El Alamein richtete. Albert hatte in späteren Jahren aufgehört, sich darüber zu wundern, daß diese Operation als Triumph strategischer Planung in die Annalen des Afrikakrieges eingegangen war, da er während seines kurzen, aber heldenhaften Einsatzes vor allem Chaos und Verwirrung um sich herum wahrgenommen hatte. «Das Wichtigste ist, daß die Panzer durchkommen», hatte die Order gelautet, die am Abend zuvor vom Stab der Panzerbrigade an die Offiziere und Unteroffiziere der Royal Wiltshires, des Regiments, in dem Albert und Alfred dienten, weitergegeben worden war. Sie hatten sich beide im Oktober 1939 freiwillig gemeldet, sich bereits kurz darauf als Panzerfahrer in der Ebene von Salisbury wiedergefunden, waren alsbald zu Unteroffizieren befördert und Ende 1941 nach Kairo verschifft worden. Mitte 1942, als auf beiden Seiten Verstärkung für die bevorstehende Entscheidung zusammengezogen worden war, war auch John zu ihnen gestoßen. Sie hatten es gefeiert, daß sie nun wieder alle drei zusammen waren.
    Am Morgen des 2. November drangen Albert und Alfred in ihren Panzern entlang der Nordseite des Kidney Ridge vor und gerieten unter heftigen Beschuß von deutscher Acht-acht und Panzern, die sich beim Teil el Aqqaqir verschanzt hatten. Zwar erwiderten sie das Feuer, aber es war von vornherein ein ungleicher Kampf, da die vorrückenden Panzer der Wiltshires den deutschen Panzerabwehrwaffen ein leichtes Ziel boten, und während sie sich langsam und schwerfällig nach vorn schoben, wurde einer nach dem andern außer Gefecht gesetzt.
    Die Erinnerung war für Albert selbst jetzt nach all den Jahren noch immer schmerzhaft, dennoch ließ er die Bilder in sich aufsteigen, ohne sich gegen sie zu wehren. Er hielt es aus. Und es war wichtig, daß er sich erinnerte.
    Einer der Panzer an der Spitze, ungefähr fünfzig Meter vor ihm, war in Brand geraten; der Körper des Kommandanten hing leblos aus der Luke, der linke Arm baumelte seitlich am Turm, der Helm auf seinem Kopf war über und über mit Blut bespritzt. Ein zweiter Panzer links von ihm kam schlingernd zum Stehen, als eine deutsche Granate ihm die linke Kette zerfetzte; vier Männer sprangen heraus und rannten, so schnell sie konnten, zurück in die relative Sicherheit der Sandwüste hinter ihnen.
    Der Lärm um ihn herum war ohrenbetäubend. Schrapnells stiegen pfeifend auf und brachten im Niederstürzen Tod und Verderben. Männer schrien und flehten und liefen — und starben. Manchen war der Tod gnädig; er kam schnell und unvermittelt. Bei anderen zog sich das Sterben qualvoll hin, während sie tödlich verwundet im Wüstensand lagen. Und wieder andere verbrannten hilflos in ihren Panzern, weil die stählerne Ausstiegsluke sich vor Hitze verzogen hatte oder weil sie durch eine Verletzung nicht mehr die Kraft oder das Geschick hatten, den Panzer zu verlassen.
    Dann erwischte es auch den Panzer gleich rechts von Albert. Ein Offizier sprang heraus; mit der Linken hielt er seine blutige rechte Hand umfaßt. Er war noch nicht allzu weit von seinem Panzer entfernt, als dieser explodierte und in Flammen aufging.
    Alberts Turmschütze schrie ihm von oben zu: «Mein Gott! Hast du das gesehen, Bert? Kein Wunder, daß die Deutschen diese verdammten Dinger nennen!»
    «Sieh zu, daß du es den Arschlöchern heimzahlst, Will», brüllte Albert zurück. Doch er erhielt keine Antwort mehr, denn Wilfred Barnes, Gemeiner bei der Royal Wiltshire Yeomanry, war tot.
    Auf einmal
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