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Das Rätsel der dritten Meile

Das Rätsel der dritten Meile

Titel: Das Rätsel der dritten Meile
Autoren: Colin Dexter
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geben.
    Die Flamenco Bar war ein niedriger Raum, der an den Wänden entlang in schmale Nischen aufgeteilt war, in denen sich jeweils ein Tisch für zwei Personen befand. Die junge Frau, die ihm das Eintrittsgeld abgefordert hatte, begleitete ihn zu einer der Nischen, reichte ihm eine in imitiertes Leder eingebundene Getränkekarte und zog sich dann ohne ein weiteres Wort wieder auf ihren Platz hinter der Bar zurück, wo sie sich erneut in die Lektüre des Daily Mirror vertiefte.
    Browne-Smith studierte aufmerksam die lange Liste der Getränke. Es dauerte ein paar Minuten, bis er sich sicher war, daß ihn jedes auch nur halbwegs alkoholhaltige Getränk tatsächlich mindestens drei Pfund kosten würde. In ihm keimte der Verdacht, daß ein Glas Bier vermutlich noch den reellsten Gegenwert für diesen exorbitanten Preis darstellen würde.
    «Was darf ich Ihnen bringen?»
    Über den Brillenrand hinweg musterte Browne-Smith fasziniert die junge Frau, die, ohne daß er es gemerkt hatte, neben ihn getreten war und sich, auf seine Bestellung wartend, zu ihm hinunterbeugte. Sie war von der Taille an aufwärts nackt. Der enge rosa Rock, den sie trug, war bis hoch hinauf geschlitzt.
    «Ein Lager, bitte.»
    Sie machte sich auf ihrem Block eine Notiz. «Möchten Sie, daß ich mich zu Ihnen setze?»
    «Ja, bitte.»
    «Es geht aber nur, wenn Sie mir einen Drink ausgeben.»
    «Einverstanden.»
    Sie wies mit dem Finger auf die drei letzten der angeführten Getränke auf der Karte.

    Süße Rache — eine Liaison von grünäugiger Chartreuse mit erotisierendem Cointreau.
    Soho-Knock-Out — ein dramatisches Aufeinandertreffen von sinnlichem Wodka und aufreizendem Tia Maria.
    Östliche Wollust — eine unwiderstehliche Mischung aus stimulierendem Gin und aufregendem Campari.
    Preis: Sechs Pfund.

    Sechs Pfund!
    «Also sechs Pfund, das kann ich mir nicht leisten», sagte Browne-Smith.
    «Ich kann mich nur zu Ihnen setzen, wenn Sie mir einen Drink kaufen», wiederholte sie stereotyp.
    «Aber es muß doch keiner für sechs Pfund sein? Das kann ich mir wirklich nicht...»
    «Dann eben nicht.» Ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, drehte sie sich um und ging. Nach ein paar Minuten kam sie zurück, stellte schweigend ein kleines Glas Lager vor ihn auf den Tisch und war sogleich wieder verschwunden.
    Die Trennwände zwischen den einzelnen Nischen waren nur dünn, so daß Browne-Smith jedes Wort der Unterhaltung, die nebenan geführt wurde, verstehen konnte.
    «Wo kommst du denn her?»
    «Australien .»
    «Ist es dort hübsch?»
    «Und ob.»
    «Möchtest du, daß ich mich zu dir setze?»
    «Aber klar!»
    «Dann mußt du mir aber einen Drink ausgeben.»
    «Mach ich, Baby, such dir was aus!»
    Browne-Smith nahm einen Schluck von seinem lauwarmen Lager und blickte sich um. Außer dem Australier in der Nische nebenan gab es nur noch einen Gast, einen Mann unbestimmbaren Alters, der vierzig, fünfzig oder auch schon sechzig sein konnte. Er saß an der Bar und las in einem Buch. Die Tatsache, daß die wenigen ihm noch verbliebenen Kopfhaare bereits grau waren, während sein sorgfältig geschnittener Bart eine durchgängig schwarzbraune Färbung aufwies, ließ in Browne-Smith einen Moment lang die Idee aufkommen, der Mann sei möglicherweise verkleidet, eine Idee, die noch dadurch gestützt wurde, daß der Mann eine unverhältnismäßig große Sonnenbrille trug, die seine Augen vollständig verbarg, erstaunlicherweise jedoch ohne ihn am Lesen zu hindern.
    Browne-Smith ließ seinen Blick abschätzig über die schäbige Einrichtung gleiten. Der Teppich, eine Fortsetzung des Treppenbelags, war voller Flecken und in den Nischen und um die Bar herum völlig abgetreten. Die Tische waren aus billigem Plastik, die Korbstühle so wacklig, daß zu befürchten war, sie würden unter dem Gewicht eines kräftiger gebauten Gastes zusammenbrechen. Wände und Decken waren ursprünglich wohl einmal weiß gewesen, hatten jedoch vor allem durch den Zigarettenrauch im Laufe der Jahre eine schmutzig gelbbraune Farbe angenommen. Angesichts dieses offenbaren Mangels an Empfinden für Schönheit erstaunte ihn die Hintergrundmusik um so mehr. Es war der langsame Satz aus Mozarts Klavierkonzert KV 466 (gespielt von Barenboim, wie Browne-Smith hätte schwören können). Er empfand die Musik an diesem Ort als in höchstem Maße unpassend, etwa so als würde man in der St. Paul’s Kathedrale Rock-Musik zu Gehör bringen.
    Ein neuer Gast betrat die Bar, wurde zu seiner
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