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Das Rätsel der dritten Meile

Das Rätsel der dritten Meile

Titel: Das Rätsel der dritten Meile
Autoren: Colin Dexter
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Nische begleitet und, dem anscheinend hier üblichen Ritual entsprechend, von ebenderselben weißbrüstigen Schönen aufgesucht, die auch Browne-Smith sein Bier serviert hatte. Der Mann an der Theke blätterte in seinem Buch eine Seite weiter, der Australier nebenan versuchte lautstark und ohne besonders viel Feingefühl von dem Mädchen an seinem Tisch zu erfahren, wie weit ihr Entgegenkommen reiche. Sie sei genau das, was er sich immer vorgestellt habe, über den Preis würden sie sich doch einigen können. Das Mädchen hinter der Bar hatte den Daily Minor offenbar ausgelesen und legte das Blatt gelangweilt zur Seite; der langsame Satz des Mozartschen Klavierkonzertes kam zu Ende.
    Browne-Smith hatte sein Glas geleert. Er stand auf, ging hinüber zur Bar und nahm auf einem der Hocker Platz.
    «Noch ein Bier, bitte.»
    «Ich bringe es Ihnen an den Tisch.»
    «Nein, machen Sie sich keine Mühe. Ich kann es hier trinken.»
    «Ich sagte, ich bringe es Ihnen an den Tisch!»
    «Sie haben doch wohl nichts dagegen, daß ich hier sitze, oder?»
    «Sie sollen sich wieder an Ihren Tisch setzen! Verstehen Sie kein Englisch?» Sie gab sich keine Mühe mehr, höflich zu sein, ihre Stimme klang hart und giftig.
    «Na schön», sagte Browne-Smith ruhig. «Ich will keinen Ärger machen.» Er setzte sich ein paar Schritte von der Bar entfernt an einen Tisch, beobachtete das Mädchen und wartete.
    «Haben Sie nicht verstanden, was ich gesagt habe?» In ihrer Stimme schwang ein drohender Unterton mit, aber Browne-Smith, sonst äußerst empfindlich, was den Ton anging, den man ihm gegenüber anschlug, entschied, es ihr durchgehen zu lassen. Fürs erste. Es war noch nicht der richtige Zeitpunkt, um schweres Geschütz aufzufahren, und außerdem genoß er die Situation.
    «Ich kann Ihnen versichern, daß ich durchaus verstanden habe, was Sie gesagt haben, aber...»
    «Sie scheinen noch immer nicht kapiert zu haben! Wenn Sie unbedingt eine Abreibung haben wollen, dann gehen Sie gegenüber in die Sauna. Okay?»
    «Aber ich begreife nicht ganz...»
    «Noch mal sage ich es Ihnen nicht!»
    Browne-Smith stand auf und ging ohne Eile zur Theke. Der Mann mit dem Buch blätterte eine Seite weiter, als ob ihn der sich zuspitzende Streit nicht berührte.
    «Ich möchte jetzt ein anständiges Glas Bier, falls es hier so etwas gibt», sagte Browne-Smith, ohne die Stimme zu heben.
    «Wir haben hier nur Lager, und wenn Ihnen das nicht paßt...»
    Browne-Smith ließ sein Glas auf die Theke krachen und blickte das Mädchen durchdringend an. «Lager? Das Zeug nennen Sie Lager? Pferdepisse ist das, Miss. Lassen Sie sich das gesagt sein.»
    Sein dramatischer Auftritt hatte sie sichtlich verstört. Mit zitternder Hand wies sie auf den Vorhang und sagte: «Machen Sie, daß Sie hinauskommen!»
    «Ich sehe nicht ein, warum.»
    «Sie haben gehört, was die junge Dame gesagt hat.» Es war der Mann mit dem Buch. Er hatte es weder für nötig befunden, den Blick zu heben noch mit besonders lauter Stimme zu sprechen, dennoch besaßen seine Worte eine Autorität, die jeden Widerspruch auszuschließen schien.
    Browne-Smith schien ihn gar nicht wahrzunehmen, denn er starrte weiter unverwandt das Mädchen an: «Wagen Sie es nicht noch einmal, so mit mir zu sprechen!»
    Die Entschlossenheit, die in seiner Stimme mitschwang, ließ es dem Mädchen geraten erscheinen zu schweigen. Der Mann aber schlug sein Buch zu und hob zum erstenmal den Blick. Die Finger seiner rechten Hand wanderten langsam über die kräftig ausgebildeten Muskeln seines linken Oberarms, und als er sich bedachtsam von seinem Hocker gleiten ließ und sich direkt vor Browne-Smith aufbaute, stellte er, obwohl er vier bis fünf Zentimeter kleiner war als dieser, durchaus einen erstzunehmenden Gegner dar. Die beiden Männer sahen einander schweigend an.
    Der Samtvorhang und die Treppe nach oben waren nur etwa drei Meter entfernt, und Browne-Smith hätte durchaus noch Zeit für einen schnellen, wenn auch nicht rühmlichen Rückzug gehabt. Er ließ die Gelegenheit jedoch ungenutzt verstreichen, und noch bevor er irgendwelche weiteren Überlegungen anstellen konnte, fühlte er, wie der andere mit hartem Griff sein Handgelenk umfaßte und ihn unsanft in Richtung auf eine Tür mit der Aufschrift Privat vor sich herschob.
    Während sein Begleiter an die Tür klopfte, warf Browne-Smith über die Schulter einen Blick zurück und nahm mit geradezu fotografischer Deutlichkeit zweierlei wahr: zum einen das Gesicht des
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