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Feine Milde

Feine Milde

Titel: Feine Milde
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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    Was bei der Sache für sie selbst raussprang, wußten beide. Es war nur das kleinste Stück vom großen Kuchen, aber es kam genug zusammen, daß es sich lohnte, und das Risiko war kalkulierbar, bis heute jedenfalls.
    Im Auto herrschten Backofentemperaturen, und die Kleider klebten ihnen am Körper. Sie hatten die Fenster runtergekurbelt, aber der Fahrtwind brachte keine Erfrischung.
    Der Fahrer hatte seinen Blick fest auf die schnurgerade, schmale Straße geheftet – sie fuhren zu schnell – er lenkte mit einer Hand, mit der anderen strich er sich immer wieder die langen roten Haarsträhnen hinter die Ohren. Der Dunkle hing schräg auf dem Beifahrersitz, beide Füße auf dem Armaturenbrett, und drehte träge eine Büchse Heineken zwischen den Handflächen hin und her. Die dicke goldene Armbanduhr paßte nicht zu seinen abgekauten, schmierigen Fingernägeln, und sein helles T-Shirt war voller Ölspuren, so als habe er sich die Hände daran abgewischt. Er nahm den letzten Schluck aus der Bierdose, quetschte sie zusammen und warf sie aus dem Fenster. Der Stau kurz vor Utrecht hatte sie fast zwei Stunden gekostet. Hoffentlich ging jetzt alles glatt.
    Der Rothaarige knirschte mit den Zähnen und trat fluchend das Gaspedal durch.
    »Was ist denn?«
    »Die Karre zieht keinen Hering mehr vom Teller!«
    »Was?« Der Dunkle hatte immer noch Schwierigkeiten, den Groninger Akzent zu verstehen.
    In diesem Moment blinkten sämtliche Kontrolleuchten auf. Fast gleichzeitig setzte der Motor aus, und sie schossen mit achtzig Stundenkilometern durch den stillen Wald.
    Jetzt fluchten beide. Der Fahrer stieg vorsichtig in die Bremsen und lenkte den Wagen an den Straßenrand. Sie ruckelten über ein paar Farnbüschel, dann rollten sie langsam auf einer ebenen Grasfläche aus und kamen direkt vor einem dichten Gebüsch zum Stehen.
    Der Dunkle grinste nervös. »Ich kenn nichts von Autos …«
    »Ja, denkst du, ich!« fuhr ihn der Rote an und griff zu dem Handy, das zwischen den beiden Sitzen lag.
    »Scheiße! Funkloch.«
    Er sprang aus dem Auto und versuchte noch einmal zu telefonieren, aber das Gerät muckste sich nicht. Unschlüssig sah er die Straße entlang. Sein Kumpel war ebenfalls ausgestiegen und kam steifbeinig um den Wagen herum.
    »Was jetzt?«
    »Wir müssen telefonieren, Mann!«
    »Ich sehe weit und breit kein Haus.«
    Der Rothaarige wies mit dem Kinn Richtung Kleve. »Da hinten ist die Hauptstraße. Da finde ich was.« Er steckte das Funktelefon hinten in den Hosenbund und stapfte los. Der andere knurrte zweifelnd, reckte sich dann und holte eine neue Dose Bier aus dem Auto. Als er sie aufriß, spritzte ihm ein großer Schwall Schaum auf die Jeans. Nachlässig wischte er daran herum. Das Zeug war zu warm. Ob er noch mal nachguckte? Er sah sich um – keine Menschenseele weit und breit.
    Als er die Tür zum Laderaum öffnete, schlug ihm dumpfe, unerträgliche Hitze entgegen. Es war totenstill. Er räusperte sich, zögerte, dann stieg er hinein, quetschte sich an den Fahrrädern vorbei und schob die Kartons zur Seite. Mitten in der Bewegung hielt er inne, starrte und schlug voller Entsetzen die Hand vor den Mund. Er mußte sich zwingen, noch einmal genauer hinzusehen; das Bild war dasselbe. Mit zitternden Händen schob er die Kartons wieder zurück und kletterte benommen aus dem Auto.

    Kommissar Günther Breitenegger feierte heute seine Überstunden ab. Normalerweise verbrachte er seine freien Tage auf ausgedehnten Wanderungen mit seinem Dackel durch die Hooge Veluwe oder durch den Reichswald, aber es war einfach zu heiß für lange Spaziergänge. Den ganzen Tag hatte er zu Hause in der einigermaßen kühlen Küche vertrödelt – selbst im schattigen Garten konnte man es nicht aushalten –, hatte sich gelangweilt und war seiner Frau auf die Nerven gegangen. Am späten Nachmittag war es ihm dann zuviel geworden, er hatte Franz-Josef ins Auto gepackt und war mit ihm zum Kartenspielerweg gefahren, um wenigstens noch mal ein Stündchen zu laufen.
    Hier im Wald war es kaum kühler, aber die Luft kam ihm frischer vor. Er blieb stehen und rieb sich den Hals. Sein Hemdkragen scheuerte ihm den Nacken wund. Wie oft hatte er seine Frau schon gebeten, im Sommer seine Hemden nicht zu stärken, aber er stieß auf taube Ohren – mit der Wäsche war sie penibel und auch noch stolz darauf.
    Seit Wochen diese bleierne Hitze, an die vierzig Grad, Tag für Tag, selbst am Abend blieb es stickig, und das einzige Gewitter in der letzten Zeit
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