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Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Titel: Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
Autoren: Maria Norda
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grauen
Strähnen ab. Dabei wirkte er nicht alt, sondern vielmehr wie George Clooney oder
Sean Connery.
    »Männer altern nicht, wir sind wie
ein guter Wein – wir werden mit den Jahren immer besser«, hatte Robert immer
gesagt, wenn ich ihn damit aufzog, dass er drei Jahre älter war als ich.
    »Wenn ich feststellen sollte, dass
Sie sich mehr zumuten als Ihnen gut tut, werde ich Sie zwangsbeurlauben!« Er
griff nach seiner Tasse und verließ ohne ein weiteres Wort die Küche.
    Ich sank zurück auf den Stuhl und
betrachtete wieder die tanzenden Schneeflocken. Wie leicht für sie alles war,
wie schwerelos. Ohne belastende Gedanken traten sie ihren Weg zur Erde an und
ließen sich einfach treiben. Es war egal, ob eine Windböe sie unkontrolliert
fortwehte. Sie würden ihren Weg finden, irgendwie, irgendwann.
    Verdammt was mache ich hier
eigentlich!
    Ich genoss es so sehr hier zu sein,
auch wenn ich bei Weitem nicht das zustande brachte, was ich erwartet hatte.
Die Erinnerungen an das vergangene Wochenende zogen wie ein Schnellzug an mir
vorbei. Ich sah auf meine linke Hand. Noch immer fanden sich auf der Innenseite
die Abdrücke der Grußkarte.
    »Kann heute spät werden, aber ich
liebe dich.«
    Ich war auf meinem Fußboden
aufgewacht und hatte dabei anscheinend die ganze Nacht diesen Zettel zwischen
meinen Handflächen gehalten. Mein Schweiß hatte die Tinte angelöst und sich auf
meiner Haut verewigt. Ich hatte minutenlang versucht, die Farbe abzuschrubben,
doch noch immer zeigte sich ein grauer Schimmer auf meiner Handinnenfläche.
    Gegen Mittag hatte ein Polizist den
ausgestellten Totenschein von Robert vorbei gebracht. Es war nicht der gleiche
Mann wie in der Nacht zuvor gewesen. Ein Jüngling, vielleicht sogar noch in der
Ausbildung, der zum Botendienst abkommandiert worden war und dessen Erscheinen
ihm sichtliches Unbehagen bereitete.
    Danach verschwamm alles zu einem
einzigen grauen Brei aus Erinnerungsfetzen. Die Suche nach einem
Bestattungsinstitut, die Überführung seines Leichnams in die Leichenhalle, die
Beantragung und Ausstellung der Sterbeurkunde.
    Den Sonntag hatte ich damit zugebracht,
mir Blumengestecke anzusehen, über Bestattungstexten zu schlafen, die Trauergäste
zu verständigen und eine Lokalität für den anschließenden Leichenschmaus zu
buchen.
    Robert hatte nie eine große Zeremonie
gewollt. »Wenn ich mal nicht mehr bin, dann lass mich verbrennen und schmeiß
mich auf eine Wiese. Ich will keinen Grabstein. Dass würde wieder nur Arbeit
bedeuten von der ich nichts habe, also warum das Ganze?«, hatte er darüber
philosophiert.
    War das auch kurz vor seinem Tod
seine Meinung gewesen? Hatte sich daran etwas geändert und wir hatten einfach
nur noch nicht darüber gesprochen? Was, wenn das alles gar nicht mehr in seinem
Sinne war?
    Trotz dieser scheinbar einfachen
Beerdigungsart taten sich immer wieder neue Hürden vor mir auf. Immer wieder
gab es Dinge zu klären und Entscheidungen zu treffen.
    Am Schlimmsten war das Gespräch mit
dem Bestatter über den Ablauf der Zeremonie gewesen – an welcher Stelle sollten
welche Worte fallen? »Möchten Sie selbst Worte an die Trauergemeinde richten?«,
hatte er mich beim Durchgang seiner Checkliste gefragt.
    Warum stellten diese Menschen einem
solche Fragen? Wer konnte schon nach dem Verlust eines geliebten Menschen
sinnvolle Worte finden und diese dann auch noch bei einer Beerdigung vortragen
wollen? Ein dicker Kloß hatte sich in meinem Hals gebildet und verhinderte
jegliche Antwort. Mein Gesichtsausdruck genügte und so schrieb er »keine
persönlichen Worte« auf das Formular.
    Und noch beängstigender war der
Stapel der noch zu erledigenden Dinge, der sich vor meinem inneren Auge
auftürmte. Die Kündigung bei der Rentenversicherung, die Kontoauflösung, sein
Handyvertrag, die Autoversicherung, die ich nun unter meinem Name laufen lassen
musste und – und das war irgendwie das Erschreckendste von allem – die
Beantragung des Anspruches auf Witwenrente. Ich war 24 Jahre alt. Ich war noch
nicht dazu bereit, eine Witwe zu sein.
    Ob es möglich war, dieses Kapitel
einfach zu überspringen? Schließlich verdiente ich gut und ich benötige das
Geld nicht wirklich.
    In zwei Tagen – dann würde es soweit
sein. Dann würden wir ihm die letzte Ehre erweisen, so hatte es der Bestatter
ausgedrückt. Dann war es soweit – aber ich war es nicht. Ich war nicht bereit
dafür, niemals und erst Recht nicht in zwei Tagen.
    »Frau Dryker«, plauzte mich
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