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Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel

Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel

Titel: Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel
Autoren: Thomas Kanger
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    »Es ist mir eine große Freude, euch alle hier zu sehen.«
    Sein Blick glitt über die Versammlung. Sechsundsiebzig Personen saßen und standen in dem viel zu kleinen Raum oder lehnten an den Wänden.
    Aller Aufmerksamkeit war in diesem Moment auf Wiljam Åkesson gerichtet. Ihm zu Ehren waren sie hier.
    »Ich habe niemals persönlichen Gewinn aus meiner Tätigkeit zu ziehen versucht, das kann ich aufrichtig behaupten. Auch wenn ich nicht gerade leer ausgegangen bin.«
    Er lachte und das Publikum lachte mit ihm.
    »Meine Belohnung war die Freude zu sehen, wie sich der Wohlstand entwickelt hat. Zu erleben, dass es den Menschen besser geht. Die vergangenen Jahrzehnte sind nicht nur positiv gewesen, das muss ich natürlich zugeben. Es hat Kosten verursacht, die Säulen der Solidarität zu erhalten, die Basis, auf die sich unsere Gesellschaft stützt. Manchmal, glaubt mir, war es schmerzhaft, Einsparungen zu beschließen. Bei so mancher Entscheidung habe ich mich sehr unwohl gefühlt. Aber ich habe aus Überzeugung gehandelt und zum Wohl aller und für die Zukunft kommender Generationen entschieden.«
    Das Publikum applaudierte verhalten.
    »Wenn ich meinen Posten jetzt verlasse, möchte ich mich bei einigen von Ihnen ganz besonders bedanken. Alle kann ich nicht erwähnen. Wenn ich also einige Namen auslasse, geschieht das nicht absichtlich oder aus Geringschätzung. Es ist lediglich ein Zeichen dafür, dass so viele von Bedeutung waren für das, was wir erreicht haben. So groß ist die Zahl derer, die mich unterstützt haben, dass es unmöglich ist, jeden Einzelnen zu nennen.«
    Er stand auf einem Podium, etwa einen halben Meter über dem Boden. Von unten gesehen wirkte er mächtig. Mehr als einsneunzig groß und mit einem Bauch, der in den letzten fünfundzwanzig Jahren beträchtlich zugenommen hatte, sodass das Jackett seines Maßanzugs aufsprang. Sein zurückgekämmtes Haar war weiß, aber immer noch voll. Seine Nase ähnelte der eines römischen Heerführers.
    »Aber diese will ich doch nennen: Ragnar Sundstedt, Sixten Eriksson, Karl-Axel Svensson. Sie haben mir stets den Rücken gestärkt und eine Loyalität bewiesen, die ich persönlich ganz außerordentlich schätze.«
    Wiljam Åkesson stieg vom Podium. Er ging nach links und reichte allen am Tisch die Hand. Die Sitzenden erhoben sich einer nach dem anderen und ergriffen seine Hand. Dann winkte er denen zu, die standen. Ragnar Sundstedt, äußerlich der krasse Gegensatz zu Åkesson, klein, dünn und fast kahl, blieb neben seinem Stuhl am Podium stehen, nachdem sie sich die Hand geschüttelt hatten.
    »Ein vierfaches Hoch auf den frisch gebackenen Pensionär!«, rief er. »Hurra, hurra, hurra, hurra!«
    Den Hochrufen folgte donnernder Applaus. Anna-Margareta Nilsson ging auf Wiljam Åkesson zu.
    »Ich bin froh, deine Sekretärin gewesen zu sein«, sagte sie. »Ich bin kein Mensch großer Worte, aber ich muss sagen, dass es wirklich nicht schwer war, alle im Rathaus zu einem Beitrag für das Abschiedsgeschenk zu überreden. Du hast der Kommune in all den Jahren treu gedient, und jetzt sollst du die Chance haben, deinen Horizont zu erweitern. Ich wünsche dir Glück und hoffe, dich auch in Zukunft häufig zu sehen. So wie ich dich kenne, wirst du dich nicht lange ausruhen, obwohl du es verdient hättest.«
    Sie umarmte Åkesson und überreichte ihm ein Kuvert, das er mit übertriebener Geste drehte und wendete, ehe er es öffnete und den Inhalt herausnahm.
    »Eine Reise nach China«, rief er aus. »Fantastisch! Ich danke euch allen von ganzem Herzen. Na dann vielleicht bis zu den Olympischen Spielen in Peking?«
    Er sah demonstrativ auf die Uhr.
    »Aber die findet ja erst in sechs Jahren statt. So lange lebe ich wohl nicht mehr!«
    »Doch, doch, Unkraut vergeht nicht«, ertönte eine Stimme aus dem hinteren Teil des Raumes, gefolgt von Gelächter.
    »Na, ich glaube, ich reise eher. Nochmals danke!«
    Im selben Moment schlug die Rathausuhr fünf. Alle applaudierten noch einmal und schickten sich an zu gehen.
    »Soll ich dich fahren?«, fragte Ragnar Sundstedt.
    »Danke, Ragnar«, sagte Wiljam Åkesson. »Aber ich glaube, ich möchte das Ganze während eines Spaziergangs verdauen.«
     
    Wiljam Åkesson entschied sich, das Rathaus durch den Haupteingang zu verlassen, der zum Fiskartorget und Svartån hinausging. Er blieb eine Weile auf der Treppe stehen und schaute zur Grotte der Winde, Eric Grates Statue, an die er oft gedacht hatte, wenn die Wogen über seiner
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