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Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel

Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel

Titel: Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel
Autoren: Thomas Kanger
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er wieder aufschaute, tanzten Feuerfliegen vor seinem Gesicht.
    »Nein, nein«, stöhnte er und torkelte zurück in die Wohnung.
    Er setzte sich aufs Bett, kreuzte die Arme über der Brust und schaukelte vor und zurück.
    Ich bilde es mir ein, sagte er zu sich selbst. Es ist nur eine Einbildung. Halt dir die Gespenster vom Leib. Gib nicht nach. Es ist ein Film, in dem du nicht mitspielst, du stehst daneben und schaust zu.
    Er knipste die Deckenbeleuchtung an und tastete seinen Hals ab. Hundertfünfundsiebzig. Plötzlich zogen sich seine Bauchmuskeln zusammen und er fiel vornüber. Langsam kroch er vorwärts. Das Geräusch von Stoff, der über den Boden rutscht, wurde immer lauter. Mit einer letzten Kraftanstrengung führte er die Hände zum Kopf und presste sie fest gegen die Ohren.
    Er hatte das Gefühl, als würde er in Ohnmacht fallen.
    Es ist der Schweiß. Olavi, der Schweiß. Es ist, wie es sein soll. Es ist, wie es sein soll. Ganz normal.
    Schwerelos sank er hinab. Auf dem Grund des Ozeans sah er einen kleinen Punkt, der immer größer wurde. Wie hypnotisiert starrte er darauf, und schließlich erkannte er, was es war. Eine Dampfwalze rollte mit einem dumpfen Geräusch auf ihn zu. Er versuchte zu laufen, doch das Wasser hinderte ihn daran und verlangsamte alle Bewegungen wie in Zeitlupe. Unaufhaltsam näherte sich die Dampfwalze. In dem Augenblick, als sie ihn zu überrollen drohte, musste er sich übergeben. Der Mageninhalt verbreitete sich im Wasser und bildete eine undurchsichtige Masse. Er versuchte zu schreien, brachte jedoch keinen Laut heraus.
    Drei Tage später kam er wieder zu Bewusstsein. Er richtete sich im Bett auf und versuchte sein Hemd auszuziehen, aber es klebte an seiner Haut. Er stand auf, fiel jedoch sofort wieder zurück. Kriechend bewegte er sich in die Küche, richtete sich mit zitternden Beinen auf und hielt den Mund an den Wasserhahn über der Spüle. Dann sank er auf die Knie und legte die Finger an seinen Hals. Es fühlte sich an wie hundertvierzig.
    Ich lebe, dachte er.

4
    Ragnar Sundstedt beschäftigte sich mit den Lautsprechern auf dem Podium. Er hatte nachgerechnet, dass es fünfzig Jahre her war, seit er das erste Mal an einer Wahlkundgebung seiner Partei teilgenommen hatte. Auch damals war es in Västerås gewesen, vor der Wahl zur Zweiten Kammer des schwedischen Reichstags.
     
    Als er sich auf dem Sigmatorget umsah, stellte er fest, dass sich die Wahlplakate kaum von den damaligen Plakaten unterschieden. Damals wie heute verlangte seine Partei Vollbeschäftigung. Die einstige Forderung der Volkspartei, die »Steuern abzuschaffen, da sie die Wirtschaft lahm legten«, wurde jetzt in der Forderung wiederholt, die Grundsteuer abzuschaffen. Und schon vor fünfzig Jahren hatten die Rechten ein Wahlplakat aufgehängt, auf dem die Steuerzahler zur Solidarität aufgerufen wurden. Selbst das Gerede über die Qualität der Nahrungsmittel und die landwirtschaftlichen Subventionen hatte vor einem halben Jahrhundert sein Pendant gehabt.
    Ragnar Sundstedt liebte den Start des Wahlkampfes, er war wie der Beginn zu einer Reise, die so weit wie möglich führen sollte. Er trug einen Anzug und einen neuen Schlips. Die Sonne schien. Es waren zweiundzwanzig Grad und es war windstill. Auf den Bänken vor dem Podium begannen die Leute ihre Plätze einzunehmen.
    »Was ist mit dir los, Ragnar?«, fragte Aurora Sundstedt, die ganz vorn stand. »Du bist ja so unruhig. Bereitet dir irgendwas Sorgen?«
    »Aber nein«, antwortete er seiner Frau. »Alles ist bestens. Hast du eigentlich Wiljam schon gesehen?«
    »Nein, jetzt, wo du es sagst, fällt mir auf, dass er noch gar nicht da ist. Sonst ist er doch immer der Erste. Er wird sich doch nicht aus der Politik zurückziehen, nur weil er jetzt pensioniert ist?«
    »Natürlich nicht. Deswegen wundere ich mich ja.«
    »Vielleicht ist er dabei, seine Chinareise zu planen«, meinte Aurora Sundstedt lachend.
    Ragnar Sundstedt sah sich um.
    »Ich versteh das nicht«, sagte er.
     
    Zwei Stunden später betrat Ragnar Sundstedt das Polizeipräsidium in Västerås. Nachdem er sein Anliegen vorgetragen hatte, wurde er zu Kriminalinspektorin Elina Wiik hinaufgeführt.
    »Ich mache mir Sorgen«, sagte er, nachdem er sich vorgestellt hatte.
    »Weswegen?«, fragte Elina. »Oder um wen?«
    »Um Wiljam Åkesson. Er ist verschwunden.«
    »Sprechen Sie von dem Politiker? Gemeinderat Åkesson? Er soll verschwunden sein?«
    »Er hätte heute zu einer Wahlkampfveranstaltung
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