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Die Schanz

Die Schanz

Titel: Die Schanz
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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Eins
    Die Festungsmauern waren vor drei Jahren verstärkt worden. Man hatte auch neue Schutztore eingebaut, die mit ihrem kalten Grau und den glatten Betonfassungen beklemmend funktional wirkten und so gar nicht zum beschaulichen Dorf passen wollten.
    Ulrike Beckmann betrachtete die Fotos im Schaukasten an der Mauer und schmunzelte über die liebevolle, aber linkische Darstellung der Dorfgeschichte und der «Schanzer Fähre im Wandel der Zeit». Die neue Hochwasserschutzanlage, las sie, war kinderleicht zu bedienen, die Tore konnten notfalls von einer Person geschlossen werden.
    Ulli schlenderte durch die Öffnung zwischen den meterdicken Mauern zum Dorf hinaus und ließ ihren Blick über die fetten Weiden mit ihren hohen Pappelgruppen schweifen. Man konnte sich nur schwer vorstellen, dass dieser Ort bei Hochwasser zu einer Insel wurde. Der Rhein war Kilometer entfernt, und der kleine Altrheinarm zu ihrer Linken hatte wahrlich nichts Bedrohliches an sich. Sie entdeckte die Mastspitzen zweier Segelboote, die gemächlich Richtung Hafen glitten.
    Vor ihr lag das Fußballfeld vom FC Vorwärts Schenkenschanz, auf dem Parkplatz daneben beugte sich ein junger Mann über die offene Haube eines alten Mercedes und schraubte am Motor herum. Er trug ölfleckige Hosen, Arbeitsschuhe und ein weißes Unterhemd. Mitten im Oktober – Ulli zog unwillkürlich die Schultern hoch. Sie grüßte, doch er gönnte ihr nicht mal einen Blick, knallte die Motorhaube zu, hechtete in den Wagen, startete ihn mit großem Getöse und bretterte röhrend an ihr vorbei Richtung Rhein. Der Weg verlor sich hinter Bäumen. Sie konnte das Auto nicht mehr sehen, zu hören war es allerdings gut.
    Ungeduldig schaute sie auf ihre Armbanduhr – so langsam konnte Norbert wirklich mal auftauchen – und wandte sich wieder dem Dorf zu. Hinter ihr kam im Rückwärtsgang der Mercedes wieder angeschossen, in so mörderischem Tempo, dass sie unwillkürlich einen Satz zurück hinter das Fluttor machte und dabei über die Füße eines Mannes stolperte, der dort rauchend gegen den Mauervorsprung gelehnt stand.
    «Oh, Entschuldigung!» Sie fing sich so gerade eben noch.
    «Schon gut …» Er schaute an ihr vorbei. Sein Haar war von einem stumpfen Kupferrot, sein Gesicht mit zahllosen Sommersprossen überzogen. Er mochte etwa in ihrem Alter sein.
    Ulli zuckte die Achseln und ging langsam weiter. Wo blieb Norbert nur? Um drei Uhr hatten sie sich hier treffen wollen, um mit der Wirtin der «Inselruh» ihre Hochzeitsfeier zu besprechen. Ihr Magen machte einen kleinen Satz. Es gab immer wieder Momente, in denen sie es nicht glauben konnte, dass sie tatsächlich heiraten würde, in weniger als drei Wochen. Mit neununddreißig Jahren! Dabei hatte sie sich geschworen, sich niemals mit jemandem fest zusammenzutun.
    Zwanzig nach drei. Mochte der Himmel wissen, was ihn wieder aufgehalten hatte. Sie musste verrückt sein, ausgerechnet einen Kripomann zu heiraten. Zehn Minuten gab sie ihm noch, dann würde sie die Besprechung mit der Wirtin allein angehen.
    In einem kleinen Sonnenfleck vor der «Inselruh» stand eine verwitterte Bank aus Schmiedeeisen und Holzlatten. Ulli knöpfte ihre Jacke auf, setzte sich und lehnte sich vorsichtig zurück. Das Holz sah nicht besonders vertrauenerweckend aus.
    Vor den Toren der Festung röhrte der Mercedesmotor wieder auf, die Abgaswolke wehte bis zu ihr herüber. Sie rümpfte die Nase.
    Von der Kirche her kam ein rotgrünes Gefährt in hohem Tempo heran, einer dieser übergroßen Tret-Gokarts, die man in letzter Zeit so oft sah. Der Junge, der ihn lenkte, war eigentlich zu alt für dieses Spielzeug, bestimmt schon fünfzehn. Aber da kamen auch schon drei kleinere Kinder hinterhergeflitzt, ein Junge und zwei Mädchen. «Ej, komm zurück, du Arsch! Geb wieder!» Der Kleine kämpfte mit den Tränen. Der Ältere fuhr einen eleganten Bogen und bremste knapp vor dem Rothaarigen. Lässig stieg er aus und gab dem Gokart einen Tritt, sodass er auf den Jungen zurollte. «Jetzt piss dir mal nich’ in die Hose, du Spacko!»
    Dann stieß er dem Rothaarigen den Ellbogen in die Seite. «Mann, Voss, du stinkst. Haste Parfüm draufgetan? Haste etwa ’ne Alte?»
    «Lass mich in Ruhe.» Der Mann ließ den Zigarettenstummel fallen, stieß sich von der Mauer ab und schlurfte ins Dorf zurück an Ullis Bank vorbei, zu gebeugt für sein Alter.
    «Klaus?» Die Frau, zu der die dunkle Stimme gehörte, kam aus einer Seitengasse gelaufen. Sie trug enge, ausgewaschene
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