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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge
Autoren: Nancy Kress
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dachte, wie hilflos er doch war in seiner Nacktheit und mit seinem einen Arm, daß er solche Drohungen ausstoßen mußte. Aber er sagte leise: »Meine Männer warten unten. Ich will, daß du das weißt, Fia. Auch wenn du mich niemals mehr in dein Bett läßt, von hier kommst du nicht fort. Jorry ist auch mein Sohn – der einzige, den ich habe.«
    »Und genau das«, sagte ich, »wäre vor zehn Jahren geschehen, wenn ich damals nicht weggelaufen wäre. Ich lasse mich nicht zwingen, Brant.«
    »Und ich lasse mich nicht an der Nase herumführen.«
    »Deine Frau hat dich an der Nase herumgeführt. Laß sie doch einsperren.«
    »Ich will sie nicht. Ich will dich und Jorry. Aber was willst du, Fia? Du hast mir meine ganzen Wünsche aus der Nase gezogen und nicht einen der deinen genannt.«
    »Spielt das eine Rolle?«
    »Mehr als alles andere auf der Welt.«
    Und er meinte es so. Er schaffte es, beides zu sagen: ›Ich halte dich wenn nötig mit Gewalt fest‹ und ›Deine Entscheidung ist das wichtigste‹, und beides zu meinen. Er sah sogar den Widerspruch. Er sah ihn und akzeptierte ihn als einen weiteren Anteil seines Strebens nach dem, was er besitzen wollte.
    »Noch eines, Fia. Ehe du dich irgendwie entscheidest: Du glaubst, du könntest keine Geschichten mehr spielen und hättest damit jede Möglichkeit verloren, deinen Lebensunterhalt zu verdienen. Das ist gleichzeitig wahr und unwahr. Die Begabung für Bewußtseinskünste geht weiter, als du erfahren hast, auch wenn du diejenige warst, die die Schalmeien gefunden hat. Paß auf.«
    Er stieß mich grob von sich herunter; ich rollte gegen die Wand hinter dem Bett. Brant erhob sich und zündete die Kerze wieder an, die der Abendwind ausgeblasen hatte. Schatten hüpften und verschoben sich an den Holzwänden und spielten über seinen nackten Körper und seinen zerschmetterten Arm.
    Er zog aus seinem Umhang, den er auf den Boden geworfen hatte, eine kleine Flasche und streckte sie mir mit der linken Hand entgegen.
    »Die erkennst du wieder, oder nicht? Deine eigene. Du hast sie neben den zerschmetterten Schalmeien in Rofdals Kapelle zurückgelassen. Diese Droge hast du hergestellt, um sie mit den Weißen Schalmeien zu benutzen, nicht wahr, Fia? Woraus ist sie gemacht?«
    Ich erinnerte mich nicht, sie bei den Weißen Schalmeien gelassen zu haben; ich hatte überhaupt nicht mehr an sie gedacht. Mir schauderte ohne Brants Körperwärme neben mir, und ich antwortete ihm nicht.
    »Trink das, Fia. Aber nur die Hälfte. Trink nur die Hälfte.«
    Ich tat wie geheißen. Und noch beim Trinken wußte ich, daß das bereits eine Art von Entscheidung darstellte. Ich handelte nach seinen Entscheidungen gemeinsam mit ihm. Es war Neugier und Tollkühnheit, ein Bedürfnis zu gefallen und ein Wunsch nach Ablenkung von der Schwierigkeit und Anspannung unseres Gesprächs und die Hoffnung auf einen Ausweg aus der Sackgasse, in der Brant und ich zu stecken schienen – all das zusammen. Wie Brant sah ich alle Widersprüchlichkeiten und meinte sie ernst, also trank ich die Hälfte der Levkojendroge, von der ich geglaubt hatte, ich würde sie nie wieder anrühren.
    Er trank die andere Hälfte. Wieder schauderte mir; während unseres sexuellen Beisammenseins war die Decke vom Bett gerutscht und lag nun irgendwo sinnlos am dunklen Boden.
    Brant sagte: »In Veliano bezwangst du meine Psyche, als du im Besitz der Weißen Schalmeien warst. Aber selbst Macht ist eine Art Geschichte, Fia, mit eigenem Ausgang, und dieser Ausgang wird nicht hinfällig – ebensowenig wie der Ausgang von Leonores Gewalttätigkeit an meinem Arm. Weißt du, warum man Seelenjägern lieber bei lebendigem Leib die Haut abgezogen hat, anstatt sie zu köpfen oder zu verbrennen? Weil es Fleischschichten freilegt, weil es auf tödliche Weise die unteren Fleischschichten freilegt. Die ersten Priester der Schutzgötter dachten, so elende Schlächter wie sie waren, daß das eine angemessene Bestrafung wäre. Ich werde dir zeigen, warum.«
    Brant ergriff meine linke Hand und hielt sie mit dem Raum zugewandter Innenfläche hoch. Ich riß meine Hand weg, aber er zerrte sie wieder nach oben, und diesmal ließ ich sie dort. Brant durchquerte das Zimmer und hielt auf der anderen Seite seine Hand in die gleiche Höhe wie meine.
    »Fia, du glaubst, du könntest keine Geschichten mehr spielen, weil du den Geschichtenspielernebel nicht mehr lenken kannst. Aber das Geschichtenspielen bedient sich nur der obersten Schichten deines Bewußtseins,
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