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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge
Autoren: Nancy Kress
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mir herab, wo ich sein Gesicht im Kerzenschein sehen konnte. Ohne Widerstand zu leisten, setzte er sich neben mich aufs Bett, und seine Finger spannten sich um meine.
    »Ja«, erklärte er. »Du hast recht. Das alles und noch mehr muß sie jetzt begreifen.«
    »Daß Jorry mein Sohn ist«, fügte ich langsam hinzu. »Und deiner.«
    »Ja.«
    »Sie wird denken… sie wird denken, daß es wie bei Ard war und daß du im Schloß mit mir geschlafen hast.«
    »Ja«, sagte er mit angespannter Stimme, und unsere Blicke verschmolzen ineinander. Zu schnell… der Augenblick überwältigte uns zu früh, zu vieles war noch ungeklärt, unausgesprochen. Aber ich hielt den Atem an, und mein Körper spannte sich unter der derben Decke und wartete. Ich nahm seinen Geruch wahr, den Geruch von Wein und sauberem männlichem Schweiß. Noch immer rührte Brant sich nicht, und plötzlich sah ich in seinen Augen, daß er es auch nicht tun würde, daß er sich eisern zurückhielt, weil er wollte, daß ich es war, die eine freie Entscheidung traf. Ards Tod, die Weißen Schalmeien, seine Frau und mein Sohn, das Samtzeug sogar, das er wie ein Zeichen seines Ranges trug, das alles stand zwischen uns, und er vermochte dagegen nicht mehr, als mir die Entscheidung zu überlassen. Und es war Teil der vergangenen zehn Jahre, daß ich selbst jetzt nicht wußte, ob die Tatsache, daß er mir die Entscheidung überließ, nun ein Geschenk oder eine Verpflichtung oder beides gleichzeitig bedeutete.
    Zuerst streichelte ich seinen verwundeten Arm gerade nur am Ellbogen, und er zuckte zusammen.
    »Selbst das tut dir weh?«
    »Tut mir weh? Ja.«
    »Das tut mir leid.«
    »Tut es das wirklich, Fia?«
    »Glaubst du, ich wünsche dir immer noch Schmerzen?«
    »Nein. Wie könnte ich das noch glauben?«
    »Du hast mich eine Diebin, eine Lügnerin und eine Hure genannt. Am ersten Abend, weißt du noch?«
    »Ja«, gestand er rauh.
    »Du hast mir meine Fähigkeit zum Geschichtenspielen geraubt, mich mit den Weißen Schalmeien belogen und dich selbst bei Ard wegen der Schalmeien zur Hure gemacht.«
    »Ja.«
    »Aber ich würde dir nicht mehr weh tun, Brant. Weder jetzt noch irgendwann später. Trotz allem, was wir beide getan und verloren haben oder gewesen sind.«
    Mein Mund schloß sich fest auf den seinen, und sein gesunder Arm umfaßte meinen Körper. Ein Schock durchfuhr mich – ich hatte erwartet, noch etwas Zorn oder Furcht oder die trügerische Erinnerung an seine zuschlagenden Fäuste zu empfinden. Nicht nur, daß alle diese Gefühle ausblieben, ich dachte nicht einmal an den verstümmelten Arm oder die verlorenen Geschichten. Zehn Jahre schwanden dahin, als wären sie nie gewesen, und zurück blieben ein Junge und ein Mädchen, die alles, bis auf den Augenblick, vergaßen. Ich zog Brant die Kleider vom Leib, und er wurde zu meinem Leib, und mit dem glücklichen Erbeben kamen Zeitlosigkeit, Helligkeit und Musik.
     
    *
     
    Danach lag ich mit dem nackten Brant neben mir in dem schmalen Bett und kehrte in die Wirklichkeit zurück. Brants Kopf ruhte auf meiner rechten Schulter. Seine unverletzten Finger gruben sich tief in mein Haar. Nachtluft, so flüssig wie Wasser, strömte durchs Fenster, und irgendwo schrie traurig und leise ein Vogel. Befriedigt lauschten wir in die Dunkelheit.
    Brant bemerkte leise: »Bei Mutter Arcoa war es nachts nie so still.«
    »Der Straßenlärm. Jeden Abend kam doch der Apfelverkäufer.«
    »Und wir fragten uns immer, warum er seine Äpfel gerade abends verkaufte.«
    »Du meintest, er müßte blind sein.«
    »Aber ich habe es niemals wirklich herausgefunden. Ich sagte es nur so um einer Geschichte willen.«
    »Deine Geschichten waren immer um Klassen besser als meine.«
    »Hat dir das etwas ausgemacht, Fia?«
    »Natürlich hat mir das etwas ausgemacht.«
    »Das hast du mir niemals gesagt.«
    »Erinnerst du dich«, fragte ich, »an den Jungen Durleth… er war besser als wir beide. Er ist nun Meisterbarde des Lords von Frost.«
    »Ich weiß«, pflichtete er mir bei. »Ich habe ihn einmal bei einer Vorführung erlebt.«
    Und so waren wir schon wieder bei unseren unterschiedlichen, ungeklärten Geschichten. Ich sagte schroffer als beabsichtigt: »Und hast du ihm mit großzügiger Hand Münzen zugeworfen?«
    »Rück näher, Fia. Leg dich auf mich, so wie früher.«
    »Ich werde deinem Arm weh tun.«
    »Nicht mehr, als wir es ohnehin schon getan haben«, antwortete er, und so legte ich mich mit meinem Herzen auf das seine gedrückt und
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