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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge
Autoren: Nancy Kress
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weißt es nicht?«
    »Woher sollte ich es wissen?«
    Demnach hatte ihm Cynda nichts erzählt. Was hatte sie ihm aber erzählt, was hatte sie selbst für Schlüsse gezogen? Plötzlich war mir kalt.
    »Brant, hör mir zu. Sag mir, was deiner Ansicht nach in Veliano vorgefallen ist. Es ist wichtig, daß ich das weiß, damit ich dir den Rest berichten kann. Bitte.«
    Einen Augenblick zögerte er. Ich sah, daß die Erzählung ihm Schmerzen bereitete, und daß dies notwendig war. Als er zu sprechen begann, war seine Stimme leise von gezügelter Spannung.
    »Meine Männer haben mir erzählt, du bist bei Tagesanbruch mit den Schalmeien zum Priesterheim gekommen. Du hast mich aus der Zelle zur Berghütte gebracht, was das erste ist, woran ich mich selbst erinnere. Später bist du dank der Weißen Schalmeien mit allen, die dich angegriffen hatten, zum Schloß zurückgekehrt. Du hast dich zum König durchgeschlagen, den die Königin gefangenhielt, und hast ihn befreit. Er tötete die Königin von eigener Hand, seine Soldaten besiegten die deinen, die zuvor die ihren gewesen waren. Soviel ist allgemein bekannt. Ich persönlich nehme an, daß du Rofdal von Leonores Verrat überzeugen mußtest. Nachdem dir das gelungen war, hat er dir und mir verziehen und die Schalmeien vernichtet.«
    »Ich habe sie zerschlagen. Nicht der König – ich, wenn auch auf seinen Befehl.«
    Er holte tief Luft, und ich begriff, daß er das nicht angenommen hatte und auch nicht so schnell verzeihen würde, wenn er den Rest kannte.
    »Hättest du sie nicht retten können?«
    »Selbst wenn ich gekonnt hätte, ich hätte es nicht getan.«
    »Das hättest du nicht? Warum? Warum, bei allen…«
    Ich lauschte auf seinen Zorn und seine Trauer und wurde selbst wütend. »Warum solltest du sie denn so unbedingt wollen, Brant? Sie haben deine Ard umgebracht. Ja, die Schalmeien waren es – so, wie sie war, ist sie geworden, weil sie sie zu sehr benutzte, und ihre eigenen Geschichten entwichen ihrem Denken, bis nichts mehr blieb als die wortlose Musik der Schalmeien und sie alles vergaß, was sie einmal gewußt hatte. Deshalb konnte sie dir die Weißen Schalmeien gar nicht geben, Brant: Sie hatte sie, aber auch das hatte sie vergessen, wie ihr Denken alles vergessen hatte bis auf die geschichtslosen Bilder von Tieren. Die Weißen Schalmeien haben auch mir meine Geschichten geraubt. Ich kann keine Geschichten mehr spielen, nicht einmal mit Hilfe deiner Drogen – das ist meine Verwundung durch die Schalmeien, die du so sehr begehrt hast, daß du dein Leben dafür aufs Spiel setzen wolltest!«
    Er stand steif da, und die Kerze zitterte in seiner linken Hand, bis er sie langsam auf den Tisch neben meinem Bett stellte. Durch die Bewegung streifte das Licht seinen zerschmetterten rechten Arm, und wieder sah ich, wie die leicht blauen Finger wie beschädigte Krallen nach innen gekrümmt waren.
    »Warum, Brant? Warum hast du die Schalmeien so unbedingt haben wollen, Brant, daß du… all das ausgelöst hast?«
    Er antwortete nicht, aber ich wußte es auch so schon. Er hatte die Weißen Schalmeien gewollt, weil er Brant war, der nicht irgend etwas begehren konnte, ohne den heftigen Zwang zu haben, es unbedingt zu besitzen. Das war schon die Geschichte des Jungen Brant, und es war noch seine Geschichte als Mann, und ich hatte inzwischen erfahren, wie wenige Menschen jemals ihre Geschichten verändern. Nur wenige sahen jemals eine Notwendigkeit dazu.
    »Cynda hatte die Weißen Schalmeien«, fuhr ich grausamerweise fort und konnte mich nicht bremsen. »Sie trieb sie irgendwo auf Ards Hof auf, wie sie alle andere Habe von Ard zusammentrug und aufbewahrte. In Ards Hütte…«
    »Ich habe es gesehen«, bestätigte er. »Ich habe gesehen, was in Ards Hütte lag. Aber nicht die Schalmeien. Ich wußte nicht, daß Cynda jemals die Weißen Schalmeien im Besitz hatte.«
    »Sie wußte nicht, was sie bedeuteten.«
    »Nein«, stimmte er ruhig und mit so schmerzerfüllter Stimme zu, daß ich mich für meinen Zorn schämte. »Cynda hat nicht gewußt, was sie bedeuteten.«
    »Weiß sie es jetzt? Du sagtest, du hättest nicht gewußt, wo ich sie gefunden habe. Aber Cynda hat nach meiner Abreise doch sicher die ganze Geschichte erfahren und muß begriffen haben, daß die Weißen Schalmeien mit dem, was sie in der Hütte zusammengesammelt hatte, identisch waren und daß ich nur zum Schloß zurückgekehrt bin, um dich zu retten…«
    Er schwieg. Ich ergriff seine gesunde Hand und zog ihn zu
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