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Verschwörung beim Heurigen

Titel: Verschwörung beim Heurigen
Autoren: dtv
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    »Er ist ein Blender!«
    »Wer? Wen meinen Sie?« Carl Breitenbach blickte sein Gegenüber bestürzt an, dann begriff er. »Ach so«, sagte er gedehnt, »ich
     dachte, Sie meinen   ... «, er zögerte wieder unentschlossen.
    Der Fremde kicherte vor sich hin. »Den Winzer?« Er neigte abwägend den Kopf. »Nein   ... ich meinte natürlich den Wein.«
    Carl blickte den Fremden an, dann in sein halbvolles Glas, er war sich nicht sicher, was er von ihm zu halten hatte. Ton und
     Gesichtsausdruck des Mannes ließen ihn zweifeln, besonders sein süffisantes Lächeln. Man hätte es als überheblich deuten können,
     oder als eine Art Abgeklärtheit, ein solches Urteil mit so viel Selbstverständlichkeit auszusprechen. Da war er viel vorsichtiger,
     schon aus Unsicherheit. In seinem Beruf konnte er sich zwar nicht um Entscheidungen drücken, aber beim Wein war er nur zu
     schnell bereit, sein Urteil zu revidieren. Verlegen wich er dem Blick des Fremden aus, hob das Glas an die Nase und nahm so
     viel wie möglich von dem fruchtigen Duft des Weins in sich auf.
    Er kostete, bewegte den Wein im Mund, kaute ihn, wie er es gelernt hatte, ließ sich auf den Geschmack ein, auf Süße und Säure,
     die man nur schmecken konnte – und kam zum selben Ergebnis. Dieser Chardonnay war ein Blender. Und Carl sagte, ohne sich anbiedern
     zu wollen: »Gewiss, ein Blender |8| . Nur komisch«, er hielt kurz inne, »dass ich nicht gleich darauf gekommen bin.«
    »Wäre ein schlechter Blender, wenn man ihm sofort auf die Schliche käme«, erklärte ihm der Fremde, »so ein Wein hätte den
     Namen nicht verdient. Auch ein negatives Prädikat muss man sich erarbeiten. Blender muss man machen können. Das schafft nur
     ein fähiger Winzer – oder Önologe.« Jetzt schnüffelte der Fremde seinerseits am Glas, zuerst mit dem linken und dann mit dem
     rechten Nasenloch.
    Carl nickte mehrmals, als müsse er seinen eigenen Eindruck bestätigen, er runzelte die Stirn. »Sie meinten doch den Winzer,
     ist es nicht so?«
    Sein Gegenüber lachte. »Beantwortet sich diese Frage nicht von selbst?«
    Da war wieder diese Sicherheit in der Stimme des anderen, die Carl zuvor bereits verunsichert hatte, die aber nicht aufgesetzt
     schien. Es verwirrte ihn immer aufs Neue, mit welcher Selbstverständlichkeit, ja, Nonchalance war als Begriff eigentlich besser,
     mit welcher Lässigkeit andere Leute, ob vom Fach oder nicht, Urteile über Wein abgaben. Carls Neugier dem Mann gegenüber war
     geweckt.
    Er mochte Anfang vierzig sein, im dunklen, lockigen Haar zeigten sich erste graue Strähnen. Er hatte ein schmales, sympathisches
     Gesicht und blaue Augen, die er hinter einer kleinen, kreisrunden Brille verbarg. Er trug Jeans, ein helles Hemd und ein zerknittertes
     Leinensakko. Wie der Einkäufer eines Weinimporteurs sah er nicht aus, beileibe nicht wie ein Sommelier, schon eher wie ein
     Weinhändler; unter denen traf man die merkwürdigsten Typen. Viele waren Quereinsteiger, hatten weder eine Lehre im Weinbau
     noch ein Studium als Agronom hinter sich. Es waren ehemalige Ingenieure, Lehrer und Polizisten – sogar einen Mathematiker
     hatten sie zu Hause unter den Weinhändlern in Stuttgart.
    Der Unbekannte unterbrach Carls Überlegungen. »Glauben Sie, dass ein korrekter Winzer, einer, dem seine Weine |9| wichtig sind, einen Blender produziert?«, fragte er leise, um nicht die Aufmerksamkeit der Herren vom Nebentisch zu erregen.
    Klar, die Frage war rhetorisch gemeint: Wem an seinem Beruf etwas lag, und das sollte man bei den Winzern, die heute im Schloss
     versammelt waren, voraussetzen, der übte seinen Beruf mit Hingabe aus. So jemand wollte ernst genommen werden, war stolz auf
     das, was er tat. Carl erinnerte sich an einen aufgeschnappten Satz: Es bedarf schon eines Dichters, um einen großen Wein zu
     machen! Bauern waren das, Bauern-Dichter.
    »Hinter einem Blender steht eine Absicht«, fuhr der Fremde fort und schien nicht im Geringsten verstimmt. »So ein Wein gelingt
     einem nicht durch Zufall. Da will einer seine Kunden sozusagen an der Nase herumführen, im wahrsten Sinne des Wortes.«
    Das war eine harte Unterstellung, die Carl als ziemlich gewagt empfand. Das mochte auf jemanden zutreffen, dem lediglich etwas
     an Verkaufszahlen lag, am Einkommen, am Prestige – aber nichts am Wein, weder an den Stöcken noch am Weinberg selbst, nichts
     an der Arbeit, die er lieber andere machen ließ, auf jemanden, der es nicht genoss, durch die
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