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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge
Autoren: Nancy Kress
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meinen Beinen zwischen den seinen, die er schützend über mir zusammenschlug, auf ihn. Meine linke Hand suchte seinen verstümmelten Arm und streichelte ihn zaghaft.
    »Tut das weh?«
    »Ja.«
    »Wird der Arm weiter heilen?«
    »Er wird nicht mehr so starke Schmerzen verursachen. Gebrauchen werde ich ihn nicht mehr können.«
    »Du bist früher hierher geritten, als es dem Arzt recht war«, mutmaßte ich. »Er hätte es lieber gesehen, wenn du deinem Körper noch zusätzliche Ruhe gegönnt hättest?«
    »Wußtest du, daß ich zu dir kommen würde?« wollte er wissen.
    »Ja, Brant. Ich wußte, daß du kommen würdest. Aber du warst nicht so sicher, daß ich hier auf dich warten würde, oder?«
    Er rückte sich unter mir zurecht. »Warum sagst du das?«
    »Pritar. Jantro. Du hattest Angst, ich könnte Jorry holen und wieder fliehen.« Brant schwieg weiter. Ich fuhr fort. »Jorry auch. Sein Pferd, sein Schwertkampf und seine Edelmannkleidung. Du hofftest, ihn durch deinen Wohlstand ausreichend zu binden, daß er vielleicht von selbst zurückgekehrt wäre, wenn ich ihn geholt hätte?«
    »Ja«, gab er schließlich zu. »Das hoffte ich. Aber mehr noch, daß dieses Vergnügen hier dich überzeugen könnte zu bleiben.«
    »Und wenn es das nicht tut? Wenn ich mich entschließe, Jorry zu nehmen und zu gehen?«
    Seine Hand griff fester in mein Haar. Wir waren also zum entscheidenden Punkt gekommen: ob ich eine Figur in seiner einfallsreicheren, weitergreifenden Geschichte oder er eine zurückgewiesene in meiner war. Darum war es vor zehn Jahren bei Mutter Arcoa, vor zwei Monaten in Veliano gegangen, und darum ging es auch jetzt in diesem schmalen Bett.
    Ich antwortete wahrheitsgemäß, auch wenn es nicht die ganze Wahrheit war: »Ich habe Angst hier, Brant. Dieser Hof ist nicht allzu weit von Erdulin entfernt. Wird deine Frau gegen mich vorgehen wie einst gegen Ard? Du hast keine Möglichkeit, das Gegenteil sicherzustellen.«
    »Cynda ist nicht mit mir nach Erdulin gekommen.«
    Ich blieb reglos auf ihm liegen. »Wo ist sie?«
    »In Veliano.«
    »Du hast sie nicht mitgebracht? Warum?«
    »Sie hat sich entschieden, dort zu bleiben.«
    »In Veliano? Das ist doch nicht möglich.«
    »Es ist möglich«, entgegnete er.
    »Warum? Warum hat sie sich dazu entschlossen? Du hast dort keine Stellung mehr inne und keine Ehrenämter. Rofdal wird dich ansehen und muß an die Weißen Schalmeien und die Seelenjägerei denken. Und wenn er einen Befehlshaber brauchte…«
    »Würde ich dazu auch nicht mehr nützen«, antwortete Brant gelassen und beendete den Satz, den ich abgebrochen hatte. »Nein, ich habe keine Stellung und keine Ehrenämter mehr in Veliano. Ich kann nicht zurückkehren.«
    »Und Cynda…«
    »Cynda tröstet den König.«
    Wieder sah ich die Szene im Großen Saal vor mir, als Rofdal Cyndas Flehen um Gnade für Brant abgewiesen hatte. Ich sah ihre Schönheit und seinen Spott darüber in seiner jungen Freude über den Erben und den plötzlichen Zorn, weil man ihm in aller Öffentlichkeit zuwidergehandelt hatte. Aber wenn diese Freude geschmälert, des Erben Mutter eine Verräterin und der öffentliche Widerspruch von minimaler Bedeutung war, verglichen mit der Katastrophe von solchen Ausmaßen, daß man an einen kleinen Streit gar nicht mehr dachte und die unschuldige Reue der Dame so schön war…
    »Sie schafft ihre eigenen Geschichten«, behauptete ich voll Schroffheit und Erleichterung und, ja, auch voll Neid. »Ganz ohne Bewußtseinskünste und ohne die Weißen Schalmeien erschafft Cynda geschickter ihre Geschichten als wir alle, und wir alle anderen waren ihre Figuren. Wußtest du, daß sie mir einmal richtig leid tat? Warum hast du sie zur Frau genommen?«
    »Sie war die begehrenswerteste Frau, die ich jemals gesehen habe. Sie war…« Aber ich konnte es nur allzu leicht erraten. »Und du warst fort.«
    »Du hättest mich nicht heiraten können, Brant. Das war unbedachtes Gerede von einem dummen Jungen gegenüber einem ängstlichen Mädchen.«
    »Du irrst dich. Ich hätte es gekonnt, und ich hätte es getan. Und ich werde dich nun nicht mit Jorry gehen lassen. Cynda wird nie mehr nach Erdulin kommen. Sie zieht einen hilflos zurückgelassenen König einem verkrüppelten Ehemann vor, und du brauchst sie nicht mehr zu fürchten. Aber mich solltest du fürchten, Fia. Ich werde dich, wenn es sein muß, einsperren, um dich und meinen Sohn zu behalten.«
    Ich hatte gespürt, wie er sich unter mir angespannt hatte, und ich
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