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Am Anfang war das Ende (German Edition)

Am Anfang war das Ende (German Edition)

Titel: Am Anfang war das Ende (German Edition)
Autoren: Stefan Casta
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Der Tag der Sonne
    Es ist Sonntag.
    Und es ist so krass still, wie es bloß an einem Sonntag sein kann. Ich weiß nicht, warum, aber es liegt Sonntag in der Luft. Die Uhren ticken langsamer. Der Staub schwebt, ohne zu fallen. Nichts passiert. In der Luft ist ein Rauschen, das man sonst, wenn der Alltag losbrummt, nie wahrnimmt, aber jetzt deutlich hören kann. Entweder man mag das, oder man mag es nicht. Ich hab’s noch nie gemocht. Aber das hat mit der Sache, um die es hier geht, nichts zu tun.
    Also, es ist Sonntag.
    Es ist still. Mama schaut Fußball im Fernsehen, und Papa sitzt daneben und näht. Ha, ha! So witzig war ich damals noch. Natürlich näht niemand, und es sieht auch niemand fern. Die Zeiten haben sich geändert. Es hat wieder geregnet, und die Straßen stehen unter Wasser. Die Leute laufen in Gummistiefeln durch die Gegend, wenn sie welche haben, oder rudern in kleinen Schlauchbooten herum, wenn sie welche besitzen. Manche haben sich in ihren Häusern verbarrikadiert. Lastwagen fahren hin und her, auf den Ladeflächen stehen Menschen, die anderen Menschen Sandsäcke zuwerfen, und die tragen sie dann davon. Damit sind viele beschäftigt. Anderen ist das alles scheißegal. Sie haben nämlich begriffen, dass ein paar Sandsäcke nichts an der Sache ändern.
    Ja, es ist Sonntag.
    Mein Vater liegt auf dem Dach, um mit dem Fernglas Vögel zu beobachten, und meine Mutter liegt oben ohne auf dem Balkon in der Sonne. Kannst du folgen? So ungefähr hab ich früher rumgealbert. Manche fanden mich brillant. Ein Wort, das mir gut gefällt. Brillant genannt zu werden ist etwas Besonderes, weil es so klingt, als würde man funkeln wie ein Edelstein. Ich hab’s gegoogelt: Ein Brillant ist ein Diamant mit einem ganz speziellen Schliff. Und manchmal bin ich das eben auch.
    Jetzt gerade bin ich übers Wochenende nach Hause gekommen, heute Nachmittag oder am Montagmorgen fahre ich in die Schule, ins Vogelnest, zurück, kommt ganz aufs Wetter an. Was das betrifft, sieht es im Augenblick eher nach Dienstag aus.
    Ich gehe kurz zum Fenster und beobachte die Lastwagen, versuche, sie zu zählen. Sie erinnern mich an Bienen, die mit ihrer Last zum Bienenkorb fliegen. Nicht an Ameisen, sondern an Bienen. Die Menschen, die die Säcke in Empfang nehmen, sehen dagegen mehr wie Ameisen aus, wenn sie mit den Säcken auf den Schultern schwankend durch die Gegend laufen.
    Wie lange soll das hier eigentlich so weitergehen? Das hat uns niemand gesagt. Wie wird das hier eigentlich enden? Daran denkt niemand. Diesen Gedanken haben wir längst hinter uns gelassen, wir sind schon viel weiter. Wir leben in einer wortlosen Zeit.
    Ich selbst liege, wenn ich nicht gerade aus dem Fenster schaue, schon den zweiten Tag auf dem Bett und mühe mich mit einem Rollenspiel am PC ab, weil diese Stille, dieses lastende Schweigen mich rastlos macht. Jetzt gerade spüre ich, dass ich mich in der virtuellen Welt nicht mehr konzentrieren kann. Also gleite ich aus meinem Avatar heraus wie eine Schlange, die ihre Haut abstreift, und lasse mich von der Wirklichkeit aufsaugen.
    Gleich muss ich an David Beckham denken, in den ich verliebt bin. Hoffentlich schafft er den Weg zurück ins Vogelnest.
    David hat lange dunkelbraune Haare und braune Augen. Er ist einfach überall braun, wie Milchschokolade, und behaart, was sehr sexy ist. Wenn du dir einen Affen vorstellst, aber den eigentlichen Affen weglässt: das ist David. Außer mir sind noch viele in ihn verknallt, aber ich bin die Einzige, für die er was übrig hat. Eigentlich ist das eine lange Geschichte, wir sind nämlich schon ewig zusammen. Wir waren im selben Kindergarten, oder Rindergarten, wie ich immer sagte. Ich hatte schon immer einen ausgeprägten Sinn für Humor. Als ich klein war, hatte ich angeblich eine eigene Sprache. Die hab ich immer noch, aber inzwischen ist Red Bull der Einzige, der das witzig findet, die anderen scheint meine Sprache nur zu nerven. Witzig zu sein finde ich aber trotzdem noch cool.
    Plötzlich höre ich Pompom tapsen. Er hüpft auf mein Bett, und das ist ein Glück, denn ich hab’s echt satt, mit meinen Sonntagsängsten allein zu sein. Nach David liebe ich Pompom am meisten. Außer Mama und Papa natürlich, aber das ist was anderes. Genau genommen, hab ich alle vier am liebsten. Solche Sachen sind mir wichtig, die halten die Welt für mich zusammen.
    Ich kraule Pompom oberhalb der Nase, wo er es am liebsten mag, da fängt er gleich an zu schnurren und macht es sich auf
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