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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge
Autoren: Nancy Kress
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konnte alles nur einfacher machen. Ohne den ränkeschmiedenden Neid eines etablierten Meisters, der weiß, daß all seine Geschichten bereits bekannt sind und die Erzählungen eines Rivalen fürchtet, bei dem es sich obendrein noch um eine Frau handelte…
    Jorry nickte eifrig. »Ich möchte gerne bleiben! Hast du die großen Feuerstellen in der Küche gesehen und den Geruch von gebratenem Fleisch bemerkt?«
    War er wirklich von Natur aus ein so mageres Kind, oder hatte er nicht genügend zu essen bekommen? Von plötzlicher Panik erfaßt strich ich mit den Händen über seine knochigen Arme. Aber natürlich war meine Panik töricht; Jorry und ich waren vielleicht schlecht angezogen und brachten die Hälfte unserer Nächte auf den kalten Fußböden von Wirtshausküchen zu, aber wirklich Hunger gelitten haben wir nie.
    Meine Erzählkunst, so leidlich sie sein mochte, hat uns doch immer Nahrung verschafft. Trotzdem fühlte ich, als Jorrys dunkle Augen nun funkelten, wie ein Stich mich durchzuckte: der Kummer, daß mein Talent und meine Ausbildung nicht ausreichten, ihm mehr von den Reichtümern dieser Welt zu sichern oder ein behaglicheres Zuhause zu schaffen. Die Ponys, auf welchen wir mit einer Handelskarawane nach Veliano geritten gekommen waren, hatten ebenso dürre Beine wie Jorry.
    Vielleicht war es noch nicht zu spät. Hier in diesem Miniaturkönigreich mit seinem neu erworbenen Reichtum durch Edelsteine und mit seinem provinzlerischen Schielen nach dem Luxus der Silberstädte, hier in diesem gerade fertiggebauten Palast mit seinem demonstrativ üppigen Aussehen, wo sogar die albernen Wandteppiche alle mit Goldfäden gewebt waren, hier, wo es keinen Zeremonienmeister gab, der das Niveau meiner Vorführung beurteilen konnte…
    Aber zuerst mußte meine Vorstellung dem provinzlerischen König gefallen.
    Rasch trank ich die Erste Phiole und starrte die Wandteppiche an, bis ich fühlte, wie leichte Trance mein Denken umwölkte, dann holte ich die Zweite Phiole aus meiner Bluse und trank davon.
    Die Wirkung trat augenblicklich ein. Der Krieger/Kochkessel auf dem Teppich begann zu wabern, zu kreisen und stabilisierte sich wieder. Ein Geräuschschwall, fast nur eine einzige, schwer deutbare Note und keine richtige Musik, dröhnte in meinen Ohren und erstarb dann. Wärme durchflutete meinen Körper, leichter Schweiß brach mir aus, der jedoch in die kühle Luft verdunstete. Dann war die erste Woge vorüber, und ich sah, was ich wirklich vor mir hatte, hörte und fühlte, was tatsächlich in dem Vorzimmer vorhanden war. Doch es war eine leicht gesteigerte Realität. Die Farben waren ein wenig intensiver, die Gestalten ein wenig verschwommener, die Geräusche melodiöser, aber leicht gedämpft wie das Miauen von Zibetkatzen in einem weit entfernten Zimmer. Ich schloß die Augen und fühlte, wie die Droge sich meiner bemächtigte. Weitere Zeit verstrich, aber ich hätte nicht sagen können wieviel.
    Dann raschelte wieder der Vorhang. Ein anderer Diener, nicht der grämliche Bursche, sondern eine prunkvoll gekleidete Frau gab mir Zeichen, in den Großen Saal zu kommen. Mit einem letzten Blick zu meiner Vergewisserung, daß Jorry wohlauf war, verließ ich das Vorzimmer.
    Nicht nur das Essen, sondern auch die Tische waren hinausgetragen worden. Die Damen und Herren des Hofes saßen auf gepolsterten Bänken unter noch üppigeren, farbenprächtigeren Wandbehängen. Überall funkelten die blauen und roten Edelsteine von Veliano: an Ringen und Weinpokalen, an Frisuren und Kerzenleuchtern, offen und ohne einen Hauch von Bescheidung. Der Händler, der ihnen beibrachte, Edelsteine in die Wandteppiche zu verarbeiten, wie das Frauen weit östlich von hier machten, würde zum Nationalhelden werden können.
    Ich trat vor die Bank in der Mitte und verbeugte mich tief vor Rofdal, dem König von Veliano. Er war ein riesiger, kräftiger Mann in mittleren Jahren, der keine Krone trug und auch sonst nicht prächtiger gekleidet war als seine Hofleute, doch er war unmöglich zu verwechseln. Das war der König. Die Ehrfurcht der Bauern, das Verhalten der Diener, die Straßenlieder in der Stadt und der Tratsch der Wirte – alle meine Beobachtungen, seit ich vor vier Tagen Veliano betreten hatte – besagten, daß Rofdal ein Herrscher war, dessen Launen und Rechte eins waren. Neben ihm saß seine dritte Königin, aber ich konnte nicht viel von ihr erkennen, außer daß sie jung und hochschwanger war. Meine Nervosität und die Drogen ließen alles
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