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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge
Autoren: Nancy Kress
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verschwimmen außer König Rofdal, von dessen Gefallen eine schicksalhafte Veränderung im Leben von Jorry und mir abhängen konnte.
    »Du kommst also aus den Silberstädten, Harfnerin«, sagte er in recht freundlichem Ton. Ich lauschte aufmerksam auf seine Stimme; ich habe gute Ohren. Die Stimme war tief und reich an diesem leicht gereizten Unterton, wie er für Männer typisch ist, gegen deren Willen noch niemals erfolgreich verstoßen wurde und die darüber in Zorn gerieten.
    »Ja, ich komme aus den Silberstädten, Euer Gnaden. Aus Frost. Aber ich bin keine Harfnerin, Euer Gnaden«, antwortete ich ehrfurchtsvoll, »sondern vielmehr eine Geschichtenspielerin, was etwas ganz anderes ist, die Euch aber gefallen wird, wie ich untertänigst hoffe.«
    »Was immer du sein magst, fang nun an«, befahl Rofdal, trank aus seinem Pokal und inspizierte seinen Hofstaat aus Augen, die für die breite, fleischige Fläche seines Gesichts zu klein wirkten.
    Ich verbeugte mich noch einmal. »Ich benötige einen Tisch, Euer Gnaden. Einen von der Länge meiner ausgestreckten Arme.«
    Man brachte einen herbei. In der Zwischenzeit glotzten und gafften die Diener, obgleich ich nichts vollbracht hatte, das der Beachtung würdig gewesen wäre. Ein paar Damen kicherten. Rofdal rekelte sich und wirkte noch nicht allzu gelangweilt.
    »Nun fang an, Geschichtenspielerin Fia. Falls du endlich bereit bist.«
    »Ja, Euer Gnaden. Ich bin bereit, Euer Gnaden.«
    Ich breitete meine Arme in weitem Bogen über den Tisch, wandte die Handflächen nach unten, daß meine Fingerspitzen soeben die lackierte Oberfläche berührten, und schloß die Augen. Der übliche Anflug von Panik – was, falls dieses Mal nichts geschieht? Doch ich verdrängte sie, konzentrierte mich und fühlte sogleich das vertraute Kribbeln in den Fingern und den Innenflächen der Arme.
    Irgend jemand im Publikum keuchte, Gemurmel kam auf, einer holte angstvoll Luft.
    Ich schlug die Augen auf. Auf der Tischplatte zwischen meinen ausgestreckten Armen bildete sich pinkfarbener Dunst. Er zog in Strudeln, verströmte winzige Lichtfünkchen und begann dann, zu festeren Formen zu verschmelzen. Zu zweien diesmal. Ich blickte auf die beiden Gestalten von oben herab, was sie verkürzt wirken ließ, aber selbst so erriet ich mit einiger Enttäuschung, daß sie sich zu dem Alten Weib und dem Burschen verdichten würden, einem der ältesten und einfachsten Märchen. Und so war es dann auch.
    »Ahhh!«
    »Seht euch das an!«
    »Was kann das nur sein?«
    Ich konnte nicht hochsehen, aber das Erstaunen und die Aufregung im Großen Saal waren greifbar. Verwundert drängten sich die Menschen näher an den Tisch, und furchtsam wichen andere weiter zurück. Der Lärm schwoll zu einem ohrenbetäubenden Getöse an. Und all das um der langweiligen, alten Geschichte von dem Alten Weib und dem Burschen willen, die im Norden nur noch Gähnen hervorgelockt hätte! Ich hatte gut daran getan, mich der Handelskarawane auf die anstrengende Reise nach Veliano anzuschließen, wo die gängige Kunst des Geschichtenspielens eine wunderliche Neuheit darstellte. Veliano, das noch von allen Geschichtenspielern unerprobt, naiv und reich genug war, seinen eigenen Geschichtenschatz zu ignorieren, geschweige denn einen Preis für ihn zu fordern…
    Nun nahmen das Alte Weib und der Bursche endgültig Gestalt an, sie in unförmigem Schwarz mit weißen Warzen auf der Nase, er groß, aufrecht und jung, und beide erschienen der Wahrnehmung des Publikums ebenso wie der meinen so real wie der Tisch darunter. Ich konzentrierte mich stärker mit der besonderen Konzentration des Geschichtenspielers, in welcher man nicht zu denken versucht, sondern sein Bewußtsein zu entleeren sich bemüht, damit die Geschichte dargeboten werden kann. Dargeboten aus welchem Fundus? Aus den Drogen, den Künsten des Bewußtseins und der Luft. Nicht einmal der Geschichtenspieler selbst kann immer wissen, welchen Verlauf die Geschichte nehmen wird, obgleich es sich bei neun von zehn Vorstellungen lediglich um eines der üblichen Spiele ohne weitere Zusätze handelt.
    Mein Publikum hatte sich beruhigt. Ich wagte einen raschen Blick vom Tisch hoch; Rofdal schaute gespannt zu wie ein Kind – gespannter als mein Jorry, der sein Leben lang zugesehen hatte, wie seine Mutter ihre Kunststücke darbot. Es erheiterte mich, das mächtige, herrische Gesicht eines Königs mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund zu sehen. Einer seiner Backenzähne war
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