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Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Titel: Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
Autoren: Tanja Heitmann
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Prolog
    BEEKENSIEL, SOMMER 1939
    Es kam fast einer Befreiung gleich, dass endlich passierte, was Arjen schon die ganze Zeit über befürchtete.
    Auf der Treppe im Hausflur erklangen Schritte.
    Jemand war auf dem Weg nach oben.
    Oben … Wo sie in einem fremden Zimmer herumschnüffelten.
    Arjen stieß einen lautlosen Schrei aus. Mit einem Schlag löste sich die Anspannung, die ihm die Luft abgeschnitten hatte, seit sie heimlich übers Rosengitter durch das offenstehende Fenster geklettert und durch sämtliche Räume des heruntergekommenen Herrenhauses bis ins Obergeschoss geschlichen waren.
    Dieser Koloss Denneburg ist aus seinem Nickerchen im Garten aufgewacht! Von wegen der schläft nach einem Saufgelage mit seinen Parteikumpanen seinen Rausch noch dann aus, wenn wir längst über alle Berge sind … Denneburg war schließlich schon trinkfest gewesen, bevor er Ortsgruppenleiter der NSDAP geworden war.
    Warum hatte Arjen sich bloß auf diese Dummheit eingelassen? Sein Herzschlag dröhnte ihm bis in die Ohren, nur übertönt von Rubens Lachen. Ein kehliger und viel zu schallender Laut.
    Im nächsten Moment versetzte sein Freund ihm auch schon einen Stoß in die Rippen, und Arjen fiel das Keksglas aus den Händen, das er vom Nachttisch genommen hatte. Es zersprang mit einem Knall. Entsetzt starrte er auf die zerbrochenen Gebäckstücke und die vielen Glassplitter.
    Die Schritte wurden nicht nur lauter, sondern auch schneller. Gleich würden sie den oberen Flur erreichen, dann waren sie nur noch einige Zimmertüren von ihnen entfernt.
    Wir sind entdeckt. Verloren.
    Endlich verstummte Rubens Lachen, obwohl er weiterhin belustigt dreinblickte, als er eine Hand auf Arjens Schulter legte. »Halb so wild, die Kekse waren ohnehin staubtrocken, so wie die beim Aufschlag zerbröselt sind. Und genau dasselbe wird Denneburg mit uns anstellen, wenn wir uns nicht sofort aus dem Staub machen. Der Kerl hat keine Hände, sondern Pranken.«
    »Weglaufen?«, fragte Arjen benommen, obwohl sein Körper wie unter Strom stand, bereit, jederzeit loszusprinten. »Wohin denn?«
    Da war es wieder, dieses kehlige Lachen, als habe Ruben nur darauf gewartet, dass sie erwischt wurden, als ob der Spaß erst jetzt richtig losging, seit ihr kleiner Ausflug auf Messers Schneide stand. Mit einem schmerzhaft festen Griff packte er Arjen und zerrte ihn zum Fenster, das hinter bodenlangen Vorhängen verborgen lag. Ruben riss den Stoff beiseite, und Arjen blinzelte ins Sonnenlicht, regelrecht geblendet, nachdem sie eine gefühlte Ewigkeit durchs abgedunkelte Haus geschlichen waren. Zwei Jungen auf der Suche nach einem Zeitvertreib an diesem flirrend heißen Sommertag. Zumindest hatte Arjen das geglaubt, bis Ruben den Fotoapparat – eine Leica – vom Sekretär in der Wohnstube genommen hatte. »Du willst den Apparat doch nicht ernsthaft mitnehmen?«, hatte Arjen gefragt. Ruben hatte daraufhin etwas von »ausleihen« erzählt, und Arjen hatte sich nur allzu bereitwillig beschwichtigen lassen. Ein großer Fehler, wie er sich jetzt eingestehen musste.
    »Wir laufen nicht weg, wir fliegen«, erklärte Ruben, während er mit seiner unnachahmlichen Leichtigkeit auf die Fensterbank glitt und den Gurt des Fotoapparates quer über seine Brust legte. »Und zwar auf das Schuppendach, das ist höchstens einen Katzensprung weit entfernt.« Sonnenstrahlen umtanzten seine Silhouette, und einige Sekunden lang schien er nicht wie ein für seine zwölf Jahre zu schmächtiger Junge, sondern wie eine überirdische Erscheinung, die Arjen seine Furcht vergessen ließ. So war Ruben, und deshalb war er ihm in dieses Haus gefolgt. Deshalb würde er ihm überallhin folgen.
    Als gäbe es die Schwerkraft nicht, stieß Ruben sich vom Fensterbrett ab und landete auf den hölzernen Dachschindeln des Schuppens. »Siehst du? Nichts leichter als das.«
    Gerade als Arjen sich aus dem Fenster beugte und feststellte, dass der »Katzensprung« gut und gern zwei Meter betrug, wurde die Zimmertür aufgeschlagen.
    »Was zum Henker treibst du Bengel in meinem Haus?«
    Vor Arjens geistigem Auge erschien ein furchteinflößendes Bild von Denneburg: Unrasiert und von der Mittagshitze verschwitzt stand er in der Tür, lediglich mit Hosen und Unterhemd bekleidet, das Gesicht bereits zunderrot vor Zorn, die Faust zum Schlag erhoben. Ganz anders als der stramme Parteimann, als der er sonst auftrat, stets akkurat gekleidet, das bronzene Dienstabzeichen stolz auf der Brust. Frederick »Fred« Denneburg war
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