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Die Stunde des Schakals (German Edition)

Die Stunde des Schakals (German Edition)

Titel: Die Stunde des Schakals (German Edition)
Autoren: Bernhard Jaumann
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    SCHÜSSE
    Keine Lügen mehr, keine Geschichten! Nur die Wahrheit zählt, und die Wahrheit ist der Tod. Vielleicht auch das Leben, aber mehr noch der Tod. Denn nicht jeder kann ein Leben sein Eigen nennen, doch der Tod, der klopft bei allen an. Früher oder später.
    Er schob das gekrümmte Magazin in die Führung der AK-47 und vergewisserte sich, dass es fest saß. Dreißig Patronen, 7,62 Millimeter. Als er sich zur Seite beugte, spürte er, dass ihm das Hemd schweißnass am Rücken klebte. Das Blut kochte in seinen Adern. Das lag nur an der Hitze. Sie staute sich im Wagen, obwohl die Scheiben ganz nach unten gekurbelt waren. Er legte die Kalaschnikow links neben sich auf den Beifahrersitz und lehnte sich in das Polster des Fahrersitzes zurück. Aus dem Autoradio sagte der Sprecher den Titel «Summer in the City» an. Es war ein afrikaanser  1 Sender, Radio Kosmos, 94,1 Megahertz.
    Die Sonne stand noch zwei Handbreit über der Hügelkette jenseits des Klein-Windhoek-Riviers, aber auch, wenn sie untergegangen wäre, würde es kaum abkühlen. Genauso wenig wie gestern oder die Tage zuvor. Ganz Windhoek, ganz Namibia ächzte unter der Januarhitze und sehnte die dunklen Wolken herbei, die aus Nordosten den Regen bringen würden. Danach sah es jedoch nicht aus. Der Himmel im Nordosten war von einem unwirklich strahlenden Blau.
    Er wischte sich die Handflächen an den Oberschenkeln ab. Der Sicherungshebel der AK-47 war in der mittleren Position eingerastet. Dauerfeuer. Er musste nur den Abzug durchgedrückt halten. Mit Lüge oder Wahrheit hatte das nichts zu tun. Er musste einen Job erledigen.
    Die Palmen vor dem Haus Nummer 15 warfen lange Schatten über den Asphalt. Bis zur Kreuzung vorn war kein Mensch zu sehen, und das nicht nur, weil es brütend heiß war oder weil die Ursulastraße eine Sackgasse war. Hier im Windhoeker Stadtteil Ludwigsdorf ging man nicht auf die Straße. Man blieb in seinem eigenen kleinen Paradies, hinter hohen Mauern, die mit Stacheldraht bekränzt waren. Wer aus dem Haus musste, nahm den Wagen und vergewisserte sich, dass sich das Elektrotor hinter ihm schloss, bevor er sich entfernte. Ein Fußgänger war entweder ein Bettler oder ein Krimineller. Und auch ein fremdes Auto, das am Wendekreis der Sackgasse parkte, würde wahrscheinlich Verdacht erregen.
    Doch er war gut vorbereitet. Er hatte einen weißen Toyota Corolla gestohlen, sich Schablonen angefertigt und das Logo der Sicherheitsfirma «Group 4 Securicor» auf den Lack gesprüht. Sogar Nummernschilddubletten hatte er anfertigen lassen, nur für den Fall, dass misstrauische Anwohner bei der Zentrale anriefen. Man würde ihnen bestätigen, dass es sich wirklich um ein Fahrzeug der Firma handelte. Wahrscheinlich war diese Vorsichtsmaßnahme völlig übertrieben gewesen. Die G4S-Wagen standen schließlich oft irgendwo im Stadtgebiet herum.
    Zur Talseite hin ging der Wendekreis in einen schmalen Streifen verdorrten Grases über. Ein paar Aloen mit spitzen, rötlichen Blättern standen vor dem hüfthohen Mäuerchen, das den Abhang sicherte. Von dem abwärtsliegenden Haus waren nur der Giebel und die Satellitenschüssel zu sehen, doch er wusste, dass er vom Mäuerchen aus die Terrasse und einen Großteil des Gartens überblicken konnte. Die Sonne stand jetzt hinter dem Wasserturm auf der gegenüberliegenden Höhe. Sie begann, sich orange zu verfärben, doch noch blendete sie zu stark. Er würde warten, bis sie untergegangen war.
    Im Radio lief nun ein Song von Koos Kombuis. «Johnny is nie dood nie». Ob Johnny noch lebte, interessierte ihn nicht. Er schaltete das Radio aus. Durch das geöffnete Wagenfenster hörte er hinter der Mauer von Haus Nummer 15 Kinderstimmen kreischen. Dann ein lautes Klatschen, als ob jemand in den Pool gesprungen wäre. Oder hineingestoßen worden war. Wasser schwappte, ein Prusten tauchte aus dem Geräusch auf. Empörte, halbverschluckte Worte, die er nicht verstand. Vielleicht gab es auch nichts zu verstehen. Vielleicht war einfach alles so, wie es war. Die Kinderstimmen, die AK-47 auf dem Beifahrersitz, sein schweißnasser Rücken, die Wahrheit, die Geschichten, der Dachgiebel mit der Satellitenschüssel und die Sonne, die jetzt rot in den Hügelkamm gegenüber sickerte.
    Es war an der Zeit. Er griff nach dem Gewehr und öffnete die Fahrertür. Die Straße war menschenleer. Er stieg aus. Durch die Schuhsohlen glaubte er zu spüren, dass der Asphalt glühte, als brenne das Höllenfeuer direkt darunter, doch
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