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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge
Autoren: Nancy Kress
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deine Stunden gibt.«
    Seine Flöte. War das eine leise Anspielung auf die Weißen Schalmeien, die Brant gesucht und die ich zerstört hatte? Jantros Gesicht gab keine Auskunft darüber. Aber ich glaubte, daß er die Jal-un-Stunden aussetzte – zumindest bis Brant kam. Ich ließ Jorry und Jantro stehen und entfernte mich auch von dem näher kommenden Hirtenjungen, der angestellt war, Jorry zu unterrichten, damit ich die klagende Musik nicht hören mußte.
     
    *
     
    Er kam nachts. Vom Bett hörte ich durchs Fenster, das offenstand, um die kühle, süße Nachtluft hereinzulassen, das Klappern von Hufen im Hof und wie Pritar den Riegel von der Küchentür zurückschob. Dann leise, schnelle Stimmen, gefolgt von Schritten in dem schmalen Treppenhaus. Ich blieb reglos liegen. Als die Tür zu meinem Schlafzimmer sich nach innen öffnete, fiel Kerzenlicht herein, und eine hohe Gestalt stand in der Finsternis.
    »Fia?«
    »Hier, Brant.«
    Er kam auf mich zu, und die Kerze in seiner linken Hand flackerte. Als er neben meinem Bett stehenblieb, sah ich im Kerzenschein, daß sein rechter Arm steif und leblos an seiner Seite herabhing und die Finger zu einer Kralle angewinkelt waren, die sich nicht wieder öffnen lassen würde.
    »Kannst du noch reiten?« fragte ich und hörte, daß meine Stimme vor Abwehr schroffer klang, als ich es wollte. Ich brauchte diese Abwehr. Ich wußte nicht, wer wir beide waren.
    Brant von Erdulin. Fia, die Geschichtenspielerin. Aber er war zum Krüppel geworden, und ich konnte keine Geschichten mehr spielen. Ich hatte ihm seinen Sohn geraubt, er mir den meinen genommen. Ich hatte ihm das Leben gerettet, und ihn hatte es seinen Arm gekostet; er hatte mein Leben gerettet und meine Geschichten zerstört. Männer und Frauen waren gestorben. Ich hatte die Weißen Schalmeien vernichtet, bei deren Suche er alle Gefahren auf sich genommen hatte. Er hatte mich benutzt, um Lügen zu kanalisieren. Ich wußte nicht, was jeder von uns nun war, nur, daß wir nach all dieser Zerstörung noch beide am Leben waren und keine Armlänge voneinander entfernt uns in einem winzigen, dunklen Raum gegenüberstanden, der zu sehr Mutter Arcoas Dachkammer ähnelte. Wir waren Fremde und doch nicht und waren nicht annähernd wir selbst. Also beobachtete ich den dunklen Umriß, den er im Kerzenschein abgab und stelle eine Frage, deren Antwort offensichtlich war: »Kannst du noch reiten?«
    »Nicht gut. Aber es geht.«
    »Und kämpfen?«
    »Nicht mehr.«
    »Und deshalb lernt Jorry es jetzt für dich.«
    »Und ist damit recht spät dran. Er ist fast zehn.«
    »Er ist ein Kind. Und mein Kind.«
    »Dann soll er doch den Mut seiner Mutter lernen«, erwiderte Brant ruhig, daß mir die Luft wegblieb. Damit hatte ich nicht gerechnet. Vor allen möglichen Äußerungen war das vielleicht die unerwartetste. Ich lag auf der Seite, atmete kaum, und mein Blick haftete auf der in der Dunkelheit flackernden Kerze und nicht auf seinem Gesicht.
    »Warum?« fragte Brant. »Du hättest Veliano mit den Weißen Schalmeien verlassen können und wärst in der Lage gewesen, dich selbst zu schützen.«
    »Die Königin wäre vielleicht vor mir bei Jorry gewesen.«
    »Sie wußte nicht, wo er war.«
    »Sie hätte es von dir erfahren können«, gab ich zu bedenken, und wie schon zuvor in der Hütte stritt er es nicht ab. »Brant, wir wissen das beide. Wir wissen das doch alles.«
    »Ja. Wir wissen beide alles. Aber ich weiß immer noch nicht, warum du nicht den einfachen Weg eingeschlagen hast: mich zu töten und unbeschadet zu fliehen.«
    »Warum«, entgegnete ich, »hast du mich nicht Leonore ausgeliefert, nachdem ich meinen Zweck erfüllt hatte, ihr zu erzählen, daß du im Besitz der Schalmeien seist?«
    »Weil ich dich immer noch liebte und es nicht ertragen hätte«, erklärte er, und ich begriff, daß er immer noch der Mutigere war: Ich hätte es nicht zuerst gesagt. Ich fühlte ein dummes Kribbeln in meinen Augen aufsteigen. Brant legte seine Hand auf meine Wange.
    »Fia… Tränen?«
    »Du bist verwundet.«
    »Du ebenso.« Plötzlich lachte er. Es war ein kurzes, schroffes Lachen ohne Erheiterung. Er nahm die Hand wieder fort. »Ich bleibe verwundet durch das, was ich verloren habe, du durch das, was du entdeckt hast.«
    »Und was, meinst du, habe ich entdeckt?« fragte ich. Aber ich hatte ihn mißverstanden; er meinte etwas Einfacheres, als ich im Sinn hatte.
    »Die Weißen Schalmeien natürlich. Wo waren sie, Fia? Wo hast du sie gefunden?«
    »Du
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